Mittwoch, 31. Januar 2007

"Listo"

Basilica Santo Domingo
Unter der Kuppel ist ein Netz gespannt. Es macht mich neugierig, ich vermute zunächst, das es ein Schutz gegen Vögel ist die durch die Fenster der Kuppel in die Kirche kommen. Erst als ich näher komme, kann ich den eigentlichen Grund erkennen, denn auf dem Netz liegen Bruchstücke des Deckenfreskos sowie einige größere Stücke des Stucks der Kuppel. Die Basilika Santo Domingo ist in einem erbärmlichen Zustand. Überall lösen sich großflächig die Fresken, es sind Risse zu erkennen, in die ich problemlos meine Hand stecken könnte. Was von außen nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist bestätig sich bei genauerem Hinsehen: Diese Kirche ist keine Ausnahme sondern die Regel. In all den Basilikas, Jesuitenmissionen und Kathedralen der Stadt sieht es aus, wie in ostdeutschen Städten vor der Wende. Sie sind nur noch mit Millionenaufwand zu retten oder werden die nächsten 50 Jahre nicht mehr überstehen.
In keinem Ort, in den mich meine Reise bislang geführt hat, ist der wirtschaftliche Niedergang des Landes besser dokumentiert, als hier in Cordoba. Viele der Kirchen wurden von der UNESCO zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt, aber die zur Verfügung gestellten Mittel haben entweder nicht ausgereicht um den Verfall zu stoppen, oder sind anderen "Projekten" zu Gute gekommen.
Ist die katholische Kirche nicht Eigentümer dieser Kulturdenkmäler und wäre sie nicht für deren Erhalt verantwortlich?
Ich verlasse die Kirche und setze meinen Erkundungsgang durch die Stadt fort. Die Straßen sind, wie fast überall in Argentinien, im Schachbrettmuster angelegt, jeweils Einbahnstraßen, und die Hausnummern sind nicht durchgängig, sondern steigen je Block auf den nächst höheren, vollen Hunderter (im ersten Block alle Nummern von 100 bis 1xx, im zweiten von 200 bis 2xx, usw.).
Verlässt man die historische Innenstadt wird Cordoba zu einer gesichtlosen Stadt. Das einzig auffällige ist, dass die meisten Apartmenthäuser aus roten Ziegeln gemauert sind, was mich stark an die spanische Hauptstadt Madrid erinnert und die vielen jungen Menschen auf den Straßen. Kaum jemand ist älter als ich.
Cordoba ist Bildungszentrum des Landes. Es gibt 7 Universitäten, die landesweit einen hervorragenden Ruf besitzen. Man merkt an den Buchläden und Geschäften, in der Nähe welcher Fakultät man sich gerade befindet. Geschäfte für Künstlerbedarf, Bücher über Kunstgeschichte in der Auslage der Buchhandlungen, hier muss ich wohl nahe der Fakultät der Schönen Künste sein. Zwei Blocks weiter dann anatomische Bücher, Geschäfte die sich auf Krankenhausbedarf spezialisiert haben, junge Menschen, die in blauen OP Uniformen auf dem Heimweg sind: die medizinische Fakultät kann nicht weit sein.
Ich beende meinen Rundgang, denn ich muss noch ein letztes Mal auf dieser Reise meine Wäsche waschen. Ich erkundige mich im Hotel nach einer Wäscherei in der ich selbst waschen kann, denn ich traue den Wäscherinnen nicht. Nicht erst ein Mal habe ich meine Wäsche eingelaufen oder verfärbt wiederbekommen, wenn ich den Service einer Wäscherei auf Reisen in Anspruch genommen habe.
Direkt gegenüber vom Hotel befindet sich eine Wäscherei, deren Besitzer schon mal einen Fremden an seine Maschinen lässt, wird mir gesagt. Als ich darum bitte selbst waschen zu dürfen ernte ich zwar zunächst fragende Blicke, aber schließlich lässt er mich doch gewähren. Während ich auf meine Wäsche warte beobachte ich immer abwechselnd die Waschmaschinen, in ihren ewig gleichen, rotierenden Bewegungen ein fast meditatives Erlebnis, und den Wäschereibesitzer,der seiner Tätigkeit mit großer Inbrunst nachgeht. Bald merke ich, dass ich ihm meine Wäsche problemlos hätte anvertrauen können. Immer wieder stoppt er die Trockner, prüft jedes einzelne Wäschestück, sortiert die bereits trockenen aus und gibt den Rest wieder in die Maschine, um ein möglichst schonendes Trockenen der Wäsche zu gewährleisten. Die bereits trockenen Stücke werden mit völlig übertriebenem Körpereinsatz zusammengefaltet und dann noch mit einer Flüssigkeit besprüht, die nach Rosenwasser riecht.
Nach jedem Arbeitsgang entfährt ihm ein "listo", was soviel wie "fertig" bedeutet und was man hier von jedem, überall und andauernd hört. Das "s" wird dabei nicht gesprochen, sondern nur leicht hauchend angedeutet. Man bindet sich die Schuhe: "listo", nach dem Händewaschen: "listo", nach dem Beenden einer Mahlzeit: "listo". Man kann es wohl am besten mit unserem deutschen "so" vergleichen, dass man -zig mal am Tag gedankenlos vor sich hinsagt. Ich habe mir diese Eigenart bereits angewöhnt.
Listo!

Dienstag, 30. Januar 2007

El Condor Pasa

"Quer caminar un rato?", fragt mich der Fahrkartenkontrolleur als er den Zielort auf meinem Fahrschein sieht. Pampilla steht darauf und das ist der Eingang zum Nationalpark "Quebrada del Condorito", was soviel bedeutet wie "Schlucht des kleinen Kondors". Der jüngste der argentinischen Nationalparks wurde erst Ende der 90er Jahre eingerichtet, da er als Brutgebiet der Kondore, der größten Vögel der Anden, und damit als besonders schützenswert gilt. Hier schlüpfen die Jungtiere und hier kann man sie bei den ersten Flugübungen beobachten. Schon seit Tagen freue ich mich auf diese Wanderung, deren Höhepunkt das Erreichen des "Balcon Norte" ist, einem Felsenvorsprung, von dem man nicht nur einen atemberaubenden Blick in die Tiefe Schlucht, sondern auch in die "Wohnstube" der Kondore genießen kann.
Als ich Cordoba verlasse brennt die Sonne bereits vom Himmel und es ist warm. Trotzdem packe ich meinen Drypack und meine Regenjacke in den Rucksack. Außerdem nehme ich noch ein Halstuch mit, das ich mir notfalls so unter meine Mütze stecken kann, dass der Nacken geschützt ist, und jede Menge Wasser, soviel mein Rucksack fassen kann. In meinem Führer steht, dass es in der Schlucht im Sommer bis zu 50°C heiß werden kann.
Als wir uns den Bergen nähern sehe ich erste Quellwolken über ihnen stehen. Kein Grund zur Besorgnis, denke ich, heftige und kurze Regenschauer sind im Sommer nicht selten. Immer höher klettert mein Bus auf den Serpentinen empor und nach etwa 2 Stunden Fahrzeit gibt mir der Kontrolleur zu verstehen, dass ich mein Fahrziel erreicht habe. Ein kurzer Stopp mitten auf der Strecke und ich kann aussteigen. Ein erster Schock kommt sofort: Es hat sich stark abgekühlt und es weht ein starker Wind. Außerdem ist von dem Eingang zum Nationalpark weit und breit nichts zu sehen. Ich ziehe meine Regenjacke an um mich gegen den Wind zu schützen und entscheide mich für eine Richtung, in die ich laufe. Als ich eine kleine Anhöhe erklommen habe, kann ich auf der anderen Straßenseite etwas wie einen kleinen Wegweiser sehen. Tatsächlich ist auf dem Wegweiser die Parkwächterstation des Nationalpark angeschrieben, nur 1 1/2 Kilometer. Ich gehen in die angewiesene Richtung und komme bald an einen Zaun, der das Gelände, das man nun betritt, als Privatgrund ausgibt, und diesen kann man nur über eine kleine Klettervorrichtung betreten.
"Un dia feio", ein "hässlicher Tag", begrüßt mich der Park Ranger. Auf meine Frage warum antwortet er "Weil es regnet", aber eigentlich ist es ja nur bewölkt und windig. So stellt man sich einen Park Ranger vor: braungebrannte, wettergegerbte Haut, eine olivgrüne Uniform, kantiges, glattrasiertes Gesicht. Er erklärt mir kurz den Weg und auf welche Markierungen ich zu achten habe, händigt mir eine Karte aus, bittet mich die Hinweisschilder bezüglich der wilden Tiere zu lesen und entlässt mich mit einem freundlichen Lächeln.
Auf dem angesprochenen Hinweisschild werden Hinweise zum Verhalten für die Zusammenkunft mit zwei Tieren gegeben: Dem Puma, oder auch Berglöwen, und einer giftigen Schlange, deren Kopf auf dem Schild nochmals im Detail abgebildet ist (dreieckige Kopfform, Himmelfahrtsnase). Sollte man auf einen Puma treffen wird geraten: 1.) Ruhe bewahren! 2.) Machen Sie sich größer als Sie sind indem sie ihre Arme in die Luft strecken 3.) Nicht wegrennen 4.) Sollte man Kinder dabei haben, sollen diese so dicht wie möglich am eigenen Körper gehalten werden 5.) Sollte der Puma angreifen: Laut schreien, mit den Armen um sich schlagen und mit den Beinen auf den Boden stampfen.
Sollte man von einer dieser Schlangen gebissen werden: 1.) Ruhe bewahren 2.)Seine Begleitperson sofort wegschicken um Hilfe zu holen ... In Ermangelung einer Begleitperson, die für die Punkte 3 bis 6 unerlässlich ist, habe ich nicht mehr weitergelesen. Schließlich weiss ich ja: Ruhe bewahren!
Der Wind wird immer stärker und treibt die dunklen Wolken immer schneller über mich hinweg. Ich habe mir für meine Wanderungen in Patagonien einen kleinen Kompass mit einem Thermometer gekauft, nicht viel mehr als ein kleines Spielzeug, aber genug um die Himmelsrichtung zu bestimmen, der mir jetzt um den Hals hängt. Die Temperatur, anfangs noch bei 15°C liegt jetzt nur noch bei 12°C. Was solls, solange ich in Bewegung bin, ist es nicht unangenehm. An einer Stelle an der man ins Tal hinabblicken kann, kann ich sehen, dass es dort heftig aus den dunklen Wolken regnet, die gerade noch über mich gezogen waren. Glück gehabt, sage ich mir.
Heavy rain
Nach etwa 1 1/2 Stunden Wanderung bewege ich mich jetzt schon sehr nahe an der Schlucht. Der Wind ist mittlerweile so stark, dass ich manchmal einen Schritt zur Seite machen muss um nicht zu stürzen und es fängt langsam an zu tröpfeln. Dicke Tropfen, die ziemlichen Lärm machen, wenn sie auf die Kapuze meiner Jacke in der Nähe des Ohres auftreffen.
Der Regen wird dichter und dichter, ich kann den "Balcon Norte" bereits sehen, bin vielleicht noch 200 Meter davon entfernt, als ich den ersten Donnerschlag höre. Der Regen ist jetzt so stark, dass meine Hose langsam nass wird. Ich entschließe mich dazu umzukehren, bei dem Wetter wäre eh kein Kondor zu sehen. Der Regen kommt mittlerweile waagrecht von der Seite, die Temperatur ist auf 8°C gesunken und der Weg ist schlammig, was das Laufen nicht erleichtert. Der Rückweg kommt mir ewig vor. Meine Schuhe sind zwar mit GoreTex gegen Wasser von außen geschützt, jedoch läuft es mir mittlerweile an den Beinen entlang in die Stiefel hinein, die bereits knöchelhoch gefüllt sind. Meine Hände sind blau und klamm. Ich fange lauthals an zu fluchen!
Als ich endlich die Station am Eingang des Parks sehe fange ich an zu rennen. Ich will nur eines: Endlich ins Trockene! In der Station sitzen schon mehrere Leidensgenossen und von allen bin ich noch der am besten Ausgerüstete. Viele haben nicht einmal eine Jacke dabei, nur Shorts und T-Shirt.
Ich frage nach dem nächsten Bus nach Cordoba. In einer halben Stunde, wird mir gesagt, aber man braucht nochmals 20 Minuten bis an die Straße. Mit einer kleinen Gruppe mobilisiere ich nochmals meine Kräfte und kämpfe mich durch Sturm und Regen die letzen Meter bis zu der Stelle wo wir den nächsten Bus anhalten können. Als ich gerade über den Zaun klettern will, sehe ich 2 Kondore, offensichtlich Jungtiere, die auf der Wiese sitzen, und, genau wie wir, nicht sehr glücklich über das Wetter zu sein scheinen. Der Ausflug hat sich doch noch gelohnt.

Montag, 29. Januar 2007

Einfach nur Sonntag

"Socialismo ou muerte?"
Ein strahlend blauer Himmel begrüßt mich, als ich die Augen aufschlage. Es verspricht ein warmer Tag zu werden und da Sonntag ist, auch ein guter Tag für eine Stadtbesichtigung, denn es ist ruhiger und man hat die Innenstadt für sich alleine.
Bevor ich dazu aufbreche möchte ich noch ein Stündchen am Hotelpool verbringen. "Müßiggänger sind Abenteurer, angesichts der beschränkten Lebenszeit, die uns allen zur Verfügung steht", habe ich kürzlich gelesen. Also begebe ich mich heute mal in das Abenteuer Müßiggang.
Als ich mich von meinem Liegestuhl erhebe ist es bereits 3 Uhr Nachmittags. Jetzt aber los!
Die Stadt ist wirklich ausgestorben, kaum ein Auto, kaum Fußgänger, kein Café, das geöffnet hat. Die Fenster der Häuser sind, der Hitze wegen, mit Jalousien oder Fensterläden verschlossen. Selbst im Park sind kaum Menschen, 3 Paare, die auf karierten Decken im Schatten der großen Bäume sitzen und sich die riesige Fläche teilen.
Über allem liegt bleischwer Langeweile.
Ich mutmaße bereits, dass sich alle Bewohner irgendwo versammelt haben, um ein rauschendes Fest zu feiern, das ich jetzt gerade verpasse, aber dem ist nicht so. Es ist einfach nur Sonntag.
So setze ich mich also auf eine Parkbank, ziehe meinen Führer aus dem Rucksack und beginne mit der Planung meines morgigen Tages, der mich in den Nationalpark Condorito führen soll.

Sonntag, 28. Januar 2007

Mitten in der Pampa

Die "Pampa" ist für uns in Deutschland Synonym für Langeweile, für Provinz, für ländliche Abgeschiedenheit. Tatsächlich ist "Pampa" eine Provinz Argentiniens und zwar ziemlich genau im Herzen des großen Landes. Ob hier auch wirklich das Herz der Nation schlägt, habe ich mich aufgemacht herauszufinden. Cordoba, die Provinzhauptstadt soll für die nächsten Tage meine Basis werden für Ausflüge in die nahegelegene Sierra Pampina, ein Gebirgszug, der angesichts der nahen Anden von Touristen eher links liegen gelassen wird und mich daher umso mehr anzieht.
Meinen eigentlichen Plan soweit in den Süden zu fahren, wie man kann, bis an das Ende des Kontinents, in die Stadt Calafate, habe ich aufgegeben. Ich hatte keine Lust mehr auf Touristenrestaurants, wo man nach dem Geschmack der Gäste kocht, auf Massen an Menschen, die an Sehenswürdigkeiten für ein schnelles Foto ausgeladen werden und ihrem Urlaubszeitplan hinterher hetzen, auf ein Argentinien, das man sich bemüht so zu gestallten, wie es die Touristen vermeintlich vorzufinden wünschen.
Ich möchte das ursprüngliche Argentinien kennen lernen, einfach so wie es ist, möchte erfahren wie die Menschen hier leben, was sie bewegt. Was war also naherliegender, als mitten in die Pampa zu fahren.
So bin ich gestern Abend in Cordoba angekommen, der zweitgrößten Stadt des Landes und der Hauptstadt des landwirtschaftlichen Zentrums. Was zuerst auffällt, als unser Flugzeug die Wolkendecke durchstößt, ist das satte Grün, das man überall sieht. Keine Wälder, keine Felder, überall Weiden, nur saftige grüne Weiden. Das Fleisch der argentinischen Rinder ist deshalb so zart, weil es hier weniger Wasser gibt und das Fleisch daher trockener ist, aber nach Wasserarmut sieht es hier nicht aus.
In der Tat werde ich am Morgen von heftigem Regen geweckt, der an mein Fenster klopft. Er soll bis in den späten Nachmittag nicht aufhören, aber das weiß ich noch nicht, als ich das Hotel verlasse, um die Stadt zu Fuß zu erkunden. Ich bin hier in einer der ältesten Städte des Kontinents. Knapp 80 Jahre nach dessen "Entdeckung" wurden hier, von der spanischen Krone und den Jesuiten, schon prächtige Kathedralen und Klöster gebaut. Offensichtlich blieb auch ihnen das landwirtschaftliche Potenzial der Region nicht verborgen. Die Fülle an gut erhaltenen Gebäuden aus der Kolonialzeit fällt auf und dafür ist Cordoba auch bekannt. Nur richtig genießen kann ich meinen kleinen Stadtrundgang nicht, dafür regnet es zu stark. So beschließe ich mich in ein Café zu setzten und in meinem "Nachtzug nach Lissabon" zu lesen.
In meinem Führer lese ich zufällig von einem Antiquitätenmarkt, der immer am Wochenende zwischen 17 und 22 Uhr stattfindet. Ich schaue auf den Stadtplan und stelle fest, dass ich ganz in der Nähe bin, also beende ich meine Lektüre und mache mich auf den Weg.
Ich mag es auf diesen Märkten zu stöbern. Ich mag alte Dinge, Dinge mit Geschichte. Es macht mir Spaß mir vorzustellen, wer ein altes Möbelstück vorher wohl besessen hat, was seine Geschichte war, bevor es hier landete und wer es wohl erstehen und mit nach Hause nehmen wird.
Es herrscht Flohmarktstimmung, neben Antiquitäten wird auch der übliche Tand angeboten. In einer Gasse verkaufen alte Damen Selbstgebackenes um ihre Rente aufzubessern. Lange laufe ich umher, gehe in einige Geschäfte um die Ware anzuschauen, ein paar Worte mit den Besitzern zu wechseln, die Atmosphäre zu genießen.
Schließlich komme ich an einem Geschäft vorbei, das sich auf alte Uhren und optische Geräte spezialisiert hat. Im Schaufenster entdecke ich ein Mikroskop, das genau so aussieht, wie das, dass ich einmal besessen habe. Ein schwarzes Metallgestell, mit einem ebensolchen Objektträger und einer einfachen Halterung in der die einäugige Optik befestigt ist. Als Lichtquelle dient ein kleiner Spiegel, der unterhalb des Objektträgers angebracht ist. Es war das Mikroskop meines Vaters, ein einfaches Gerät, das er sich zu seiner Studienzeit gekauft hatte, für ein besseres hatte das Geld wohl nicht gereicht. Irgendwann hat er mir es dann geschenkt, ich glaube, es war zum Geburtstag. Ich erinnere mich, wie er mir erklärte was man damit machen kann und dann den Flügel einer toten Stubenfliege für mich präparierte, dessen Adern und Struktur ich mir dann fasziniert immer und immer wieder angeschaut habe. Ich versuche mich daran zu erinnern was damit geschehen ist, wann ich es zum letzten Mal gesehen habe. Bei irgendeinem meiner vielen Umzüge ist es wohl abhanden gekommen, denke ich, und trete wehmütig meinen Heimweg an.

Freitag, 26. Januar 2007

Für Gringos ein bisschen mehr

Ich beobachte das Boot, wie es sich vom Strand weg gegen die Brandung aufs Meer hinauskämpft. Manchmal sieht es so aus als ob die nächste Welle es umwerfen wird, aber der Bootsführer weiß wie er die Wellen zu nehmen hat. Auch ich habe heute einen Bootsausflug gebucht, will raus in die Buch um eine Gruppe von Delfinen zu beobachten, die sich dort aufhält. Spektakuläre Aufnahmen, von Delfinen in glasklarem Wasser, wie sie zu mehreren vor dem Boot herumspringen, sind in der Broschüre des Veranstalters zu sehen. Das Boot ist eine Art großes Schlauchboot, das mich an die Boote erinnert, mit denen Greenpeace seine Einsätze gegen Wahlfänger und Öltanker gefahren hat. Wohl ist mir nicht bei dem Gedanken in einem Schlauchboot gegen die Brandung anzufahren, aber wenigstens habe ich meine Kamera und Wechselobjektive in einem "Drybag", einer dickwandigen Gummihülle, deren offenes Ende man zusammenrollt und mit einem Klettverschluss wasserdicht verschließt, die ich mir während meiner Reise gekauft habe um meine elektronischen Begleiter gegen Staub und Wasser zu schützen, verstaut.
Als ich gegen 9 Uhr am verabredeten Treffpunkt erscheine werde ich zunächst für 10 Uhr wiederbestellt und schließlich wird der Ausflug abgesagt. Der Wind, der heute von der See weht, ist einfach zu stark. Enttäuscht begebe ich mich in mein Hotel zurück. Gerne hätte ich die Delfine beobachtet und ein paar Fotos geschossen. Die so gewonnene Zeit beschließe ich damit zu verbringen, mich im Museum über die Geschichte der Stadt und über Flora und Fauna der Halbinsel zu informieren.
Just for the colours
Das Museum der Stadt ist in einer alten und liebevoll renovierten Villa, einem alten Herrenhaus mit kleinem Aussichtstürmchen, untergebracht. An der Kasse wartet das nächste Ärgernis, dem ich hier schon öfters begegnet bin. Bei den Eintrittspreisen fast überall wird danach unterschieden, ob man aus der Region, aus Argentinien oder dem Rest der Welt kommt. Ausländer zahlen am meisten, teilweise den siebenfachen Preis dessen was von Einheimischen verlangt wird. Es ist schon richtig, dass der Durchschnittsargentinier mit einem Gehalt von unter 1000 Pesos auskommen muss und dass ich ein Vielfaches verdiene. Nur dass der Durchschnittsargentinier es sich auch nicht leisen kann mit seiner Familie in einer Region Urlaub zu machen, die hauptsächlich von ausländischen Touristen besucht wird. Ich kann verstehen, wenn Einheimische aus der Region nicht den vollen Preis bezahlen (die sollten meiner Meinung nach sogar gar nichts bezahlen), denn schließlich soll von ihnen jeder die Gelegenheit bekommen, von seiner Geschichte zu erfahren, aber dass ich den Urlaub von Leuten sponsere, die zu der begüterten Oberschicht gehören und die, wie ich nur mutmaßen kann, ihren Reichtum nicht immer mit ganz legalen Mitteln erwirtschaftet haben, stört mich einfach. Undenkbar so etwas in Europa zu machen.
Das Museum ist sehenswert, schon alleine des etwas hundertjährigen Gebäudes wegen. Die Ausstellung umfasst die Themen der ersten Besiedlung, die Ankunft der Europäer, der hemmungslosen Ausbeutung der Natur bis hinein in die 1970er Jahre, sowie der Erklärung des empfindlichen Ökosystems und der Auswirkungen bereits kleinster Umweltsünden, wie beispielsweise weggeworfener Batterien.
Low tide
In das kleine Aussichtstürmchen der ehemaligen Villa kann man hinaufsteigen und hat von dort einen schönen Blick auf die Stadt und die Bucht. Ich stelle mir vor wie der Hausherr früher hier oben stand und nach den Versorgungsbooten Ausschau hielt, die den dringend benötigten Nachschub an Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen brachten. Über den Fenstern der Türme wurden alte Fotos angebracht, auf denen man sehen kann, was die Leute die hier früher standen, sahen. Ich vergleiche die Straßen und Gebäude auf den Fotos mit denen von heute. Einige wenige Gebäude der ursprünglichen Bebauung stehen immer noch.
In der Ferne sieht man, wie die erst vor 30 Jahren erbaute Aluminiumfabrik ihren Schmutz in die Luft bläst, mitten im Naturschutzgebiet und UNESCO Welterbe der Menschheit.

Donnerstag, 25. Januar 2007

Von Löwen und Elefanten

Es gibt keinen Moment Ruhe, ein ewiges sich Hin- und Herwerfen, mal zur einen, mal zur anderen Seite, um nur alle Konkurrenten auf Abstand zu halten. Die Männchen sind eigentlich ständig aufgerichtet und geben Laute von sich, die tatsächlich an das Brüllen von Löwen erinnern. Wir wurden gewarnt, Seelöwen sind äußerst aggressive Tiere, denen man sich nicht zu sehr nähern dürfte, und genau diesen Eindruck machen sie auch auf mich. Vor uns liegt eine Kolonie von etwa 200 Tieren, jeder Bulle hat seine Weibchen und Junge um sich versammelt und achtet sehr genau darauf, dass sich kein anderes Männchen nähert. Kommt einer doch zu nahe werden aus den Drohgebärden sofort Kämpfe, die jedoch nicht sehr lange dauern. In der Tat warten in vorderster Reihe am Wasser Jungbullen, die ihren eigenen "Harem" bilden möchten und auf ihre Chance warten. Die Damen, denke ich bei mir, liegen also am Strand in der Sonne, während sich die Herren aufblasen und wichtig machen. Wie im richtigen Leben!
Sea Lions
Die Bullen sind massig, bis zu 300 Kilo schwer, deutlich größer als die Weibchen und haben eine lange Behaarung um den Hals, die an eine Löwenmähne erinnert. Daher kommt der Name. Ich schaue ihnen lange zu, gehe die Kolonie ab und bedauere die Bullen ein bisschen. Es ist stressig ein Seelöwenbulle zu sein.
Die Seelöwenkolonie liegt am "Punto Norte" der Peninsula Valdez, einem Nationalpark und Welterbe der Menschheit. Genau an dieser Stelle wurden die spektakulären Aufnahmen gemacht, bei denen Orcas sich bis an den Strand treiben lassen um Jungtiere zu erbeuten, mit denen sie, bevor sie sie verzehren, noch spielen, sie aus dem Wasser schleudern um sie dann wieder zu fangen. Die Saison der Orcas ist eigentlich schon seit Mitte Dezember vorbei, jedoch kommen noch vereinzelt kleine Schulen in das Revier. Die letzte Gruppe, 5 Tiere, so kann ich am Besucherzentrum erfahren, wurde vor nur 2 Tagen um 17:30 Uhr gesichtet. Wir haben heute leider kein Glück. Immer wieder suche ich das Wasser ab und manchmal denke ich, die Atemfontäne eines Wals zu erspähen, aber es ist nur die Brandung, die sich an einem Felsen im Meer gebrochen hat.

Nach einer Stunde in der Kolonie fahren wir weiter die Küste der Halbinsel entlang nach Galeta Valdez, denn hier kann man Magellanpinguine beobachten. An Menschen gewohnt, kommen sie ganz nah an uns heran und betrachten uns neugierig. Es sind einige Jungtiere darunter, die flehend ihre Schnäbel öffnen und Nahrung erbetteln, doch sie sind mit ihrem Alter von 2 Monaten jetzt selbst für ihre Nahrungssuche verantwortlich . In Punta Tombo, nur etwa 100 Kilometer weiter südlich, so erfahren wir von unserer Führerin, besteht die größte Pinguinkolonie der Welt, außerhalb er Antarktis, sie zählt bis zu 750.000 Individuen.
Lonely Penguin
Magellanpinguine sind knapp einen halben Meter groß und wiegen etwas mehr als drei Kilo. Sie sind sehr neugierig, man muss sich nur lange genug still verhalten und sie kommen von selbst. Allerdings können auch sie beißen, wenn man zu unvorsichtig ist. Ich versuche es, setzte mich still an einen abgeschiedenen Platz und bekomme bald Besuch. Ich mache ein paar Fotos und versuche mich wegzustehlen, denn der Höhepunkt des Tages wartet noch auf uns, die See-Elefantenkolonie in Punta Cantor.

See-Elefanten haben ihren Namen von der rüsselartigen Verlängerung ihrer Nasen. Genau genommen besitzen nur die ausgewachsenen Männchen diesen Rüssel. See-Elefanten können bis zu 7 Metern lang werden und bis zu 5 Tonnen wiegen. Tatsächlich sind wahre Fettberge unter ihnen, aber die richtig großen sind noch nicht an Land, die Kolonie ist fast verwaist. Man erklärt uns, dass der Wechsel des Fells unmittelbar bevorsteht, bei manchen Tieren kann man es bereits gut sehen, und die See-Elefanten dann an Land bleiben, da es im Wasser zu kalt für sie ist. "Zu kalt?", frage ich nach. Ich war gestern selbst kurz im Wasser und schätze es auf ca. 18°C. Bei der Fettschicht kann man doch bei solchen Temperaturen unmöglich frieren. Ich werde eines besseren belehrt, denn die wärmeren Temperaturen herrschen nur in unmittelbarer Küstennähe. Außerdem tauchen die Tiere bei ihrer Nahrungssuche bis zu 1500 Meter tief und da kann es schon schattig werden.
Sea Elephant
Die eigentliche Attraktion der Peninsula Valdez ist jedoch der, vom aussterben bedrohte, südliche Glattwal. Leider bin ich einen ganzen Monat zu spät, um diese 12 Meter langen Meeressäuger zu beobachten. Längst sind sie weiter gezogen, immer ihrer Nahrung hinterher.

Mittwoch, 24. Januar 2007

Bessere Zeiten

Der Bus setzt sich schaukelnd in Bewegung, bald schon sind die letzten Häuser Bariloches an uns vorbeigezogen und wir fahren durch die einmalige Landschaft aus Seen und Bergen in Richtung Süden. Ich freue mich auf die Fahrt auf der berühmten Ruta 40, der längsten Straße Argentiniens und letztem Teil der Tansamericana, die von Alaska nach Feuerland führt, doch bald schon fängt es an so stark zu regnen, dass man die Landschaft nur noch schemenhaft, hinter einem Vorhang aus Wasser, erahnen kann. Ich entspanne mich und stelle meine Rückenlehne nach hinten. Ich bin froh, dass der Busfahrer mir das Fahren abnimmt und ich mich nicht auf die Straße konzentrieren muss. Schon werden Sandwiches serviert, dazu ein starker, gesüßter Kaffee und der Steward legt den ersten Film ein, eine romantische Komödie, aber ich schaue lieber aus dem Fenster. Vor uns liegen 1000 Kilometer erst in Richtung Süden und dann weiter nach Puerto Madryn an der Atlantikküste Argentiniens, in der Nähe der Halbinsel Valdez.
Fun on the water
Überlandbusse in Südamerika gleichen eher Flugzeugen als den Reisebussen, die wir aus Europa kennen. Es sind zweistöckige Ungeheuer, die die Riesendistanzen in der Regel Nachts zurücklegen. Der Sitzkomfort ist mit denen der Business Klasse in Flugzeugen vergleichbar. Pro Reihe gibt es 3 Sitze, 2 auf der einen und 1 auf der anderen Seite. Zum Schlafen lassen sie sich auf eine ebene Liegefläche, die sich etwa im 30° Winkel nach vorne neigt, stellen. Es sind mindestens 2 Fahrer an Bord, die sich abwechseln und ein Steward, der sich um das Wohl der Gäste kümmert und, je nach Fahrzeit, 2 oder 3 Mahlzeiten oder Snacks und Getränke serviert.
Noch ein Halt um Passagiere aus und neue Gäste einsteigen zu lassen und dann geht die Fahrt nach Osten durch Steppenland, 800 Kilometer ohne größere menschlich Ansiedlungen zu durchfahren.
Um 6 Uhr weckt mich die aufgehende Sonne, ich ziehe die Vorhänge auf und betrachte die Landschaft, die ich schon von meinen letzten Fahrt kenne: Endlose trockene Steppe. Als ich meinen Blick schon abwenden und mich meinem Buch widmen will, sehe ich Lamas, zu erstem Mal, eine kleinere Herde, die am Straßenzaun steht. Der Zaun, der alle großen Straßen im Süden und in der Pampa säumt wurde gebaut, um zu verhindern, dass sich Tiere in der Nacht auf den noch warmen Asphalt zu legen um sich aufzuwärmen. Schlimme Unfälle waren die Folge.
Jetzt wird meine Aufmerksamkeit geweckt und ich versuche noch andere Tiere zu erspähen. Ich muss nicht lange warten, da zeigt sich der nächste Bewohner dieser Wildnis, ein Steppenfuchs.

Als ich mein Hotel in Puerto Madryn beziehen will, wird mir mitgeteilt, dass erst um 12 Uhr bezugsfertig ist. Ich schaue ostentativ auf meine Uhr und die zeigt 7.30 Uhr. Der Portier hinter seiner schäbigen Rezeption, dreht nur ein Schild auf dem Tresen um, auf dem Ein- und Auscheckzeiten veröffentlicht sind und tippt darauf, ohne mich dabei anzusehen. Ich weiß natürlich um die Zeiten, aber schließlich hatte ich vorreserviert.
White and blue
Das Hotel Playa hat bessere Zeiten gesehen, soviel steht fest, und die dürften in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gelegen haben. Der Teppichboden am Eingang ist abgelatscht und so schmutzig, dass es beim Darüberlaufen staubt. Zwar höre ich von irgendwo her einen Staubsauger, aber seinen Weg bis in die Lobby hat er lange nicht mehr gefunden. Hinter dem abgenutzten und schmierigen Empfang, steht ein ebenso schmieriger Portier im schlecht sitzenden Polyesteranzug und pomadisierten Haaren, eine argentinische Fahne und ein Foto des Präsidenten. Viva la Patria! - Was soll's schließlich bin ich nicht wegen des Hotels nach Puerto Madryn gekommen, sondern wegen der Tiere, die man hier beobachten kann. Aber dazu morgen mehr...

P.S.
Hier ein Auszug eines E-Mails, dass mir mein Bruder aus Goa in Indien geschickt hat, wo er sicher gerade aufhält, und das mich so belustigt hat, dass ich es meinen treuen Lesern nicht vorenthalten möchte:

"Habe mir heute mal den Charterstrand beaeugt: Rotgeroestete fette
Proleten der absolut untersten Ebene aus dem angelsaechsischen
Asozialenmillieu. Viele davon auch noch oben ohne. Ein Panoptikum des
Unfassbaren. Ein derartig mutierter Geenpool kann sich nur in
jahrtausendelanger Inzucht eines Inseldaseins ausbilden. Einer
pinkelte heute vor voll besetztem Strand, knietief im Wasser, einfach
ins Meer...
(Ueberfluessig zu erwaehnen, dass der Bierkonsum dieser abscheulichen
Klopse von normalen Homo Sapiens nicht ueberlebt werden wuerde, und
der Strand voller war als EL ARENAL zur Hauptsaison...)
Die dort anwesenden Koerperverformungen scheinen aus einer
Computeranimation zu stammen, sind aber die Realitaet!!!"

Montag, 22. Januar 2007

Ein Berg, der Otto heißt

Jeder Schritt löst kleine Staubwolken aus, die vom Wind weggetragen werden. Meine, zuvor dunkelblauen, Wanderstiefel haben längst die Farbe des Sandes angenommen auf dem ich laufe. Es ist unglaublich trocken auf dem Weg zum Gipfel des Cerro Otto. Der Cerro Otto ist der Hausberg Bariloches, mit einem wunderschönen Panoramablick auf die Stadt und den See, aber auch auf die dahinter liegenden Bergketten. Eine Kabinenseilbahn führt hinauf, aber die lasse ich verächtlich links liegen. Ich will wandern!
Obwohl die Sonne nur manchmal hinter den Wolken hervorkommt ist es sehr heiß und mein Hemd ist schon nach wenigen Höhenmetern verschwitzt. Der Weg führt zunächst zu der Hütte "Refugio Berghof" (die heißt wirklich so, ist keine Übersetzung) und dann auf einem kurzen Weg hinüber zum Gipfel des Otto.
Der Aufstieg ist anstrengend, denn der Weg ist sehr sandig und man sinkt bei jeden Schritt ein wenig ein. Außerdem liegt viel Geröll darauf und so kämpfe ich mich, unter zur Hilfenahme meiner Wanderstöcke, Meter um Meter empor.
Nach 1 1/2 Stunden Gehzeit erreiche ich den Berghof und er könnte, so wie er aussieht, ebenso bei uns in den Alpen stehen. Eine gemütliche Holzhütte, mit Fensterläden in die kleine Herzen geschnitten sind und rot weißen Vorhängen an den Fenstern. Die Hütte gehört dem "Club Andino", vergleichbar mit unserem Alpenverein, und ist sogar bewirtschaftet. Der Club Andino unterhält ein Informationsbüro in Bariloche, wo man Informationen für Bergtouren einholen, und Kartenmaterial kaufen kann. Dort habe ich, am ersten Tag, auch meine Wanderkarte gekauft. Im Berghof verweile ich nicht, meine Brotzeit trage ich im Rucksack, sondern gehe gleich weiter auf dem Grat der die beiden Gipfel verbindet zum Cerro Otto. Ein hübscher Weg, der in 20 Minuten zu bewältigen ist, von dem man jetzt nicht nur den See im Norden sondern auch die Bergkette im Süden mit dem Lago Gutierrez sehen kann. Der Auffälligste Gipfel der südlichen Berge ist der Cerro Cathedral, der diesen Namen trägt, weil seine Spitzen tatsächlich an die Türme gotischer Kathedralen erinnern.
Cerro Cathedral
Der Weg führt durch einen Wald und hier treffe ich die "bärtigen Bäume" wieder, die mir schon auf meiner Wanderung in Llao Llao aufgefallen sind, nur sind diese hier über und über mit der Pflanze bewachsen, die ich für Flechten halte. Einige dieser Pflanzen liegen auf dem Boden und so habe ich die Möglichkeit sie mir genauer anzusehen. Sehen sie an den Bäume eher weich aus, wie Haar, sind sie doch, wenn man sie anfasst hart und strohig.
Der ganze Wald sieht aus, als hätten riesige Waldbewohner grünes Lametta auf die Bäume gehängt um ihr Zuhause ein wenig zu verschönern. Bei jeder Wegbiegung rechne ich damit einen dieser Riesen bei seiner Dekorationsarbeit zu stören.
Auf dem Gipfel des Otto ist es windig und kalt, aber die Aussicht ist wunderbar. Ich ziehe meine Jacke an und suche mir einen windgeschützten Felsen, auf den ich mich setzen kann, um mir meine Brotzeit, eine Hirschsalalami, schmecken zu lassen.

Es ist erstaunlich auf wie viel Deutsch man hier überall stößt. Es gibt einen "Hof Edelweiß", eine Eisdiele "Tante Frieda", einen "Berghof", einen Berg mit Namen "Otto", ein Restaurant "Familie Weiß" usw. Auch die Architektur erinnert stark an den alpenländischen Raum. Vorgezogene Giebeldächer mit Schindeln gedeckt, Balkone mit geschnitzten Geländern, Fensterkreuze und -läden.
Aber nicht nur die Sprache und Architektur erinnern an zu Hause, denn Bariloche ist in Argentinien für das berühmt, was man in Europa mit der Schweiz und Deutschland in Verbindung bringt: Schokolade und Zwerge. Die gesamte Innenstadt ist voll mit Schokoladengeschäften, allein in der Hauptstraße stehen 6 oder 7 wahre Schokoladenkaufhäuser. In den riesigen und herrlich duftenden Geschäften kann man alles erstehen, was man aus Schokolade machen kann. Wer jetzt denkt "Ja, ja, argentinische Schokolade, ganz toll!" den muss ich enttäuschen, denn die Schokolade ist durchaus essbar, in manchen Läden sogar ganz köstlich. Mein Favorit unter den Schokoladentempeln ist das "Mamuschka". Hier bedienen ausschließlich junge, gutaussehende Frauen, schlank, mit roten Bäckchen, in einer Art Dirndl gekleidet und rotem Kopftuch. Die Botschaft ist natürlich sonnenklar: "Esst Schokolade, das macht schlank und ist gesund!"
Und dann die Zwerge! Man kann ihnen einfach nicht entkommen, überall werden sie feilgeboten, überall grinsen sie einem schelmisch aus Schaufenstern oder von den Tischen ambulanter Händler entgegen. Dabei sehen sie aber nicht so aus wie unsere Gartenzwerge, sondern erinnern eher an die norwegischen Trolle.

Als ich, nach dem Abendessen, mit einem Taxi in mein Hotel fahre, macht mich der Taxifahrer auf einen Kometen aufmerksam, der wunderbar am wolkenlosen Nachthimmel zu sehen ist. Er zieht einen vielen tausend Kilometer langen Schweif nach sich. Ich schaue ihm lange nach, bis der Wagen um eine Kurve fährt und mir Bäume die Sicht verwehren.

Sonntag, 21. Januar 2007

Mit eigener Kraft

Ich liebe es, mich mit meiner eigenen Kraft fortzubewegen. Egal ob beim Wandern, Radfahren oder wenn es auch nur darum geht eine neue Stadt zu erkunden. Ich mag die Entschleunigung, das langsame Fortkommen, die Möglichkeit seine Umwelt zu erfahren, zu sehen, zu riechen, zu spüren.
Auf dem Wasser bedeutet das Rudern und da die Seen einen geradezu dazu einladen, habe ich mich gestern zu einer halbtägigen Kajakexkursion angemeldet. Zu meiner großen Freude sind wir eine sehr kleine Gruppe mit nur 3 Personen, zwei Frauen knapp unter 30, eine Amerikanerin aus Oregon, Brigit, een echt lecker meisje van de Neederlands, ich selbst und unsere Skipperin Flo.
Kajak
Schnell wurde erklärt wie man in ein Kajak steigt, nämlich als ob man auf einem Pferd sitzt, mit dem Körper zuerst in die Öffnung rutscht und dann die Beine nachzieht. Sollte man es anders versuchen wollen, endet das garantiert mit einem unfreiwilligen Bad im 14°C kalten See. Die Knie sollten im Boot die Innenseiten der Bootswand berühren, die Fußsohlen zusammen, das gibt weitere Stabilität. Eigentlich hielt ich Kajaks für recht stabile Boote, aber sie sind, wie ich gleich merken soll, äußerst kipplig. Außerdem fahren wir in Doppelkajaks und da ist es besonders wichtig, die Paddel synchron zu führen. Die Gruppe wird auf zwei Boote aufgeteilt, wobei ich zum Steuermann gemacht werde und somit für die nächsten 3 Stunden Brigits Rückansicht genießen kann. Nur noch die Spritzdecke am Boot befestigt, die man beim Kentern schnell an einem Griff vom Boot lösen muss, da man sonst darin gefangen wäre, und schon bewegen wir uns auf dem ruhigen, glatten Wasser davon.
Es ist noch früh, vielleicht 9 Uhr, als unser Ausflug beginnt. Das Wasser ist herrlich klar, man kann fast an allen Stellen bis auf den Grund sehen. Die meisten dieser Seen sind sehr tief, bis zu 100 Metern, und sehr kalt, schließlich werden sie vom Schmelzwasser der umliegenden Gletscher gespeist. Wärmer als 14°C werden sie eigentlich nie, erzählt uns Flo, und das ist die Temperatur, die sie jetzt haben.
Schnell bewegen wir uns auf dem Wasser fort, das geringe Gewicht und die elegante, schlanke Form der Boote bieten dem Wasser kaum Wiederstand. Das Steuern des Kajaks ist nicht so einfach wie es aussieht. Immer wieder bewegen wir uns vom Schwesterboot weg und müssen den Kurs korrigieren. Der Morgen ist heiß und wir schwitzen schnell unter den Gummispritzdecken. Nach einiger Zeit verstehen Brigit und ich es immer besser unseren Paddeleinsatz zu synchronisieren und bald müssen wir uns nicht mehr konzentrieren und fangen an zu plaudern.
Sie erzählt von einer 3 monatigen Reise, die sie und ihren Lebenspartner durch ganz Südamerika führen soll. Beide haben lange dafür gespart, auf ein Viertel ihres Jahresgehalts verzichtet, ihre Arbeitgeber solange bekniet, bis diese einer so langen Abstinenz vom Arbeitsplatz zustimmten, Brigit ihre Flugangst überwunden und vor 3 Wochen sind sie dann zu dem Abenteuer aufgebrochen, das uns jetzt in diesem Boot zusammengeführt hat.
Immer wieder höre ich diese Geschichten von Reisebekanntschaften. Viele wollen eine Auszeit vom Alltag nehmen, sich einen Traum erfüllen solange sie jung und ungebunden sind, in eine unbekannte Welt eintauchen.
Seit zwei Tagen höre ich viel Hebräisch auf den Plätzen und in den Cafés der Stadt, alles sehr junge Leute, nicht viel älter als 20. Als ich darüber rede, erklärt Brigit mir, dass es sich dabei um junge Israelis, Frauen wie Männer, handelt, die soeben ihren 3-jährigen Wehrdienst abgeschlossen haben und ihre wiedererlangte Freiheit nun mit einer Reise feiern wollen, nur weit genug weg. Ich kann sie gut verstehen, schließlich ist der Wehrdienst in Israel kein Kindergeburtstag, sondern eine bitterernste Angelegenheit, bei der man sicherlich mehr als einmal sein Leben riskiert.
Fishing on an old jetty
Wir paddeln in der Nähe des Ufers entlang, das von dem, für diese Region so typischen, dichten Urwald gesäumt ist. Ab und zu jedoch gibt es prächtige Blockhäuser in gepflegten Anlagen, mit kleinen Stegen, die ins Wasser führen.
Das Bootfahren ist auf allen Seen grundsätzlich untersagt, zu empfindlich ist das Ökosystem der Gewässer. Es gibt jedoch wenige Ausnahmen für Fischerboote und zwei Passagierboote, die den Nahuel Huapi befahren. Kajaks dürfen jedoch überall verkehren.
Nach etwa 1 1/2 Stunden steuern wir einen kleinen unbewachsenen Uferstreifen an um eine kurze Pause einzulegen. Kaum angelegt, holt Flo eine Thermoskanne, Becher, eine rotweiß karierte Tischdecke und eine Dose mit kleinen Gebäckstückchen hervor und bereitet uns einen kleinen Imbiss.
Erst jetzt merke ich, wie sehr das Paddeln an den Kräften zehrt. Ich kann meinen Becher kaum ruhig halten außerdem haben sich an den Stellen, an denen das Paddel auf den Daumen aufliegt, bereits zwei Blasen gebildet.
Auf dem Rückweg halte ich das Paddel, indem ich die Daumen neben die Zeigefinger lege und so die Fahrt ohne Einschränkung genießen kann.

Samstag, 20. Januar 2007

Der schwarze Gletscher

Black Glacier
Schwarz glänzend liegt er in der Nachmittagssonne und erinnert eher an Schiefer oder dunklen Granit. Man muss erst ganz genau hinsehen um zu erkennen, dass es sich um einen schwarzen Gletscher handelt, der mir seine eisige Zunge entgegenstreckt. Seine Form ist bizarr, wie hunderte schwarze Nadeln, und dort wo er schmilzt erschafft er einen Fluss, den Rio Manso, in dessen milchigem Wasser noch schwarze Eisschollen schwimmen.
Obwohl hier viele Menschen sind, ist es still, niemand spricht, so ergriffen sind alle von dem Anblick, der sich uns bietet. Vor uns steht der Cerro Tronador, mit 3478 Metern Höhe der höchste Berg der Region Rio Negro, ein erloschener Vulkan und Gletscher. Er trägt eine dicke Kappe aus Eis, aus der sich überall kleinere und größere Wasserfälle ergießen. Manche liegen so hoch, dass ihr Wasser nicht auf dem Boden auftrifft, sondern vorher vom Wind zerstäubt wird und Regenbogen in den Sommerhimmel malt. Dort oben auf dem Gipfel hat das Eis noch seine typische weiß-blaue Färbung. Wenn wir Glück haben, so erklärt unser Führer Alfredo uns, können wir miterleben, wie sich etwas von dem Eis an der Abbruchkante löst und krachend in die Tiefe stürzt, wo es dann Teil der Gletscherzunge wird. Und wirklich löst sich, kaum sind wir eingetroffen, ein kleines Stück des Eises am Gipfel, etwa von der Größe eines Einfamilienhauses, und donnert zu Tal.
Glacier
Seine schwarze Farbe verdankt der Gletscher dem vulkanischen Gestein, dass er auf seinem Weg zermahlt und in sich aufnimmt. Überall finde ich kleine und große Tuffsteine, die auf vulkanische Aktivität hinweisen. Manche von ihnen sind rötlich (eisenhaltig) andere grün (kupferhaltig), die meisten aber schwarz. Zu gerne würde ich mir einen Stein als Bimsstein mitnehmen, doch wir befinden uns immer noch im Nationalpark Nahuel Huapi und das Mitnehmen von Pflanzen, Mineralien sowie das Wegwerfen von Abfällen jeglicher Art, organisch oder nicht, ist strengstens verboten und wird hart bestraft.
Niemals zuvor hatte ich ein stärkeres Gefühl mich in der Wildnis zu befinden als in diesem Park. Es gibt wenige Wege und Straßen, die Wälder sind absolut undurchdringlich, die Seen unzugänglich und die Berge unerschlossen. Mit anderen Worten, die Natur wird sich hier mehr oder weniger selbst überlassen.
Eigentlich hatte ich mich zu diesem Ausflug entschlossen, weil ich Lust auf eine Bootsfahrt hatte. Ich wollte die Landschaft von der Wasserseite aus betrachten, langsam die Wälder und Berge an mir vorüberziehen lassen und die Ruhe und Abgeschiedenheit auf dem See genießen.
Pünktlich um 9 Uhr holt mich Alfredo an meinem Hotel, der Fazenda Carioca, ab. Er chauffiert einen geländegängigen Kleinbus, dass gefällt mir denn der verspricht einen abenteuerlichen Tag. Noch ein paar Hotels werden abgefahren und weitere Passagiere eingeladen und bald sind wir komplett. Argentinier aus den verschiedensten Teilen des Landes, eine Familie aus Chile und ich, als einziger Gringo, bin der Exot.
Wir fahren an kleinen ärmlichen Hütten vorbei aus der Stadt hinaus. Wie überall auf der Welt, lebt die weiße Oberschicht in schmucken Häuschen am See, während die Ureinwohner ein ärmliches, ihrer Identität beraubtes, Leben am Stadtrand führen. Die Straße schlängelt sich zwischen den Bergen hindurch und fast hinter jedem liegt ein anderer See. Auf manchen Bergen sieht man nur noch Baumgerippe und ich vermute Schädlinge, doch Alfredo erzählt von einem Buschbrand, den man in Ermangelung von Feuerflugzeugen und Helikoptern nicht löschen konnte. Zwar wäre im nahen Chile solches Rettungsgerät vorhanden gewesen, aber die Bürokratie der Zentralregierung in Buenos Aires war einfach zu langsam. Es folgt eine Verbalattacke auf das zentralistische System in Argentinien unter der Zustimmung aller Anwesenden. Diese Art der Kritik habe ich hier schon öfters gehört.
Bald erreichen wir den Lago Mascardi und hier steigen wir auf ein kleines Boot um, das uns in einer Stunde nach Pampa Linda bring. Ab hier geht es nun zu Fuß weiter durch den dichten Urwald, vorbei an einem Wasserfall, hinter dem man durchgehen kann, bis wir schließlich wieder auf Alfredo mit dem Kleinbus treffen. Bereits von meinem gestrigen Ausflug in Llao Llao war ich wegen der Bremsen vorgewarnt. "Willst du Knoblauch?", fragt mich einer meiner Mitreisenden während ich gerade wild um mich schlagend versuche, mich der Angriffe der Plagegeister zu erwehren. Zuerst verstehe ich nicht und denke er will mir einen Snack anbieten. "Ajo?", vergewissere ich mich nochmals. Als Antwort hält er mir nur seinen Arm unter die Nase damit ich daran rieche. Dann reicht er mir eine Knoblauchzehe und gibt mir zu verstehen, ich soll diese zerdrücken und die freien Stellen meiner Haut damit einreiben. Moskitos hassen das, sagt er. Im Bus herrscht jedenfalls danach ein angenehmes Knoblauch-Aroma und zum Abendessen bestelle ich ein großes Knoblauchbaguette zu meinem Steak.
Waterfall Cascades

Freitag, 19. Januar 2007

Bäume mit Bärten

Landscape at Llao Llao
Wie Riesen ragen sie in den Himmel und strecken ihre Kronen dem Licht entgegen. Die meisten von ihnen müssen mehrere hundert Jahre alt sein. Ich komme mir klein und unbedeutend vor im Angesicht dieser Baumgreise. Manche sind mit Moosen bewachsen, die in langen grünen Fäden von der schrundigen Rinde herabhängen und ihnen so das Aussehen würdiger alter Herren mit langen Bärten geben.
Ich befinde mich im Parque Municipal Llao Llao, möchte in den ausgedehnten Wäldern wandern und die ursprüngliche Natur erleben. Nur ein schmaler Fußpfad führt durch den Wald, erst in Serpentinen hinab, bis man den Lago Perito Moreno Oeste erreicht, und später durch Bambushaine bis zum Lago Escondido, dem versteckten See. Bambushaine? Ich hätte sie nicht so weit im Süden des Kontinents erwartet. Sie wachsen beidseitig des Weges und neigen sich über diesen, so dass ein Tunnel aus Bambus entsteht, den man durchwandert. Immer wieder gibt es atemberaubende Ausblicke auf kleine Buchten oder grandiose Bergpanoramen. Von Zeit zu Zeit höre ich fremdartigen Vogelgesang. Der eine kling wie ein heftig geblasener Ton auf einer Panflöte, ein anderer polyphon und so laut, dass ich denke, er muss von einem Riesenvogel stammen. So muss die Welt ausgesehen haben, bevor sie von Menschen zersiedelt wurde. Bis zum Ziel meiner Wanderung, der Colonia Suiza, der Schweizer Kolonie, einer Hippie-Enklave, mitten in der sonst nur den sehr Wohlhabenden vorbehalten Halbinsel Llao Llao, sind es etwa 20 Kilometer. Ein guter Weg um meine Wanderstiefel richtig einzulaufen, nicht sehr anspruchsvoll, aber von genügender Distanz.
"In denen wirst Du laufen wie in Hausschuhen", verspricht mir die Verkäuferin in dem Geschäft, in dem ich, seit ich es vor 2 Jahren entdeckt habe, alles kaufe, was zum Wandern nötig ist, als ich ihr erzähle, dass ich immer noch in meinen alten Armeestiefeln aus der Bundeswehrzeit in die Berge gehe. Meine alten Stiefel waren in die Jahre gekommen, die Sohle löste sich ab und mit den High-Tech Laufmaschinen, die der moderne Wanderer an den Füßen trägt haben sie so gut wie nichts mehr gemein.
Später muss ich den ruhigen Waldweg verlassen um die letzten Kilometer auf der Straße, erst Asphalt, dann unbefestig, zu marschieren. Langsam werden die Beine müde und die Füße schwer. Außerdem umschwirren mich laufen Bremsen, die hier in Heerscharen auf mich und andere Wanderer herabstürzen. Glücklicherweise sind sie so groß und laut, dass man sie rechtzeitig wahrnimmt und so ungeschickte Flieger, dass man sie einigermaßen mühelos erlegen kann.
Ich bin froh im Bus nach Bariloche einen Sitzplatz zu ergattern, auch wenn ich mir den Platz mit einer fetten Frau, die ihr fettes kleines Baby auf dem Schoß hat, im Verhältnis 2:1 teilen muss.

Donnerstag, 18. Januar 2007

Kaffeefahrt in die Wildnis

Patagonial Lake
Langsam schaukelt der Bus die Landstraße entlang. Es ist noch früh und der Lago Nahul Huapi liegt im rötlichen Sonnenlicht, das sich sanft auf der Wasseroberfläche widerspiegelt. Nach der nächsten Kurve gibt der Wald den Blick auf San Carlos de Bariloche frei, wo ich am Vortag, nach 18 stündiger Busfahrt, angekommen bin.
Patagonien, ein Ort, der für mich mit Abenteuer, endlosen Araukarienwäldern und unberührter Wildnis verbunden ist. Wo, denke ich, kann man das besser erfahren, als in einem der meistbesuchen argentinischen Nationalparks, in dessen Zentrum sich Bariloche befindet, der Ausgangspunkt meiner Unternehmungen der nächsten Woche.

Von Mendoza kommend, fuhren wir Stunde um Stunde durch die eintönige Steppenlandschaft Nordpatagoniens, kein Baum, keine Erhebung keine Siedlungen boten Abwechslung. Nirgendwo Schatten. Ab und zu sah man vereinzelt eine Kuh an der Straße stehen und an dem verdörrten Steppengras kauen. Wem, so denke ich, gehört dieses Tier und wo findet es Wasser? Die letzte menschliche Behausung war sicher 50 Kilometer entfernt.
Langsam zeichneten sich am Horizont die ersten Berge ab, die Straße bog nach Westen und führte nun wieder auf die Anden zu. Immer deutlicher konnte man schneebedeckte Gipfel erkennen und, je näher man kam, auch üppige grüne Vegetation. Wir passierten die ersten Seen und bald hatte die Landschaft ihre spröde Schönheit verloren und bot einen Anblick, der mich an die schweizer Alpen erinnerte. Hohe Berge, grüne Wiesen, ausgedehnte Wälder, kleine Holzhäuschen und Seen, immer wieder Seen.

Ich entschloss mich für meinen ersten Tag eine Exkursion zu buchen, die den Namen "die 7 Seen" trägt und die im Prospekt eine Fahrt durch dichte Wälder, vorbei an sieben Seen, in das Andenstädtchen "San Martin de los Andes" ankündigt.
Am Morgen wurde ich von einem Kleinbus abgeholt, dessen Fahrer mir mitteilt, dass ich gleich in einen größeren Bus umsteigen muss. Großer Bus bedeutet große Gruppe und das gefällt mir nicht. Tatsächlich wartet bald ein Ungetüm auf vier Rädern auf uns, schon zur Hälfte besetzt. Er soll bis auf den letzten Platz voll werden.
Die Fahrt beginnt, das üblichen "Warm Up" unseres Guides, der heute weiblich ist. Bald wird die Straße schlechter, Asphalt wird von Schotter und schließlich von Sand abgelöst. "Die Straße wird demnächst auch noch asphaltiert" lässt unsere Führerin uns wissen, "spätestens in 2 Jahren". Der Verkehr ist tatsächlich für eine solche Straße viel zu stark, eine Karawane aus Bussen und Individualverkehr zieht auf ihr entlang und hinterlässt eine Staubwolke, die sich nie zu legen scheint. Der erste See tauch im Staub auf, unser Führer gibt Informationen zu Größe, Tiefe und Fauna und ich freue mich auf den ersten Stopp, der jedoch liegt noch weit vor uns. So geht es See um See: Infos zur Beschaffenheit im Vorbeifahren, bloß nicht den Anschluss an die Kolonne verlieren. Statt an einem der Seen zu halten, die Stille und Grandiosität der Landschaft zu genießen, wird uns ein Besuch bei einer Indianerfamilie angekündigt, die zufälligerweise auch frittierte Teigtaschen und Getränke feilbieten, zu dessen Kauf wir nun animiert werden. Mir wird langsam klar, dass ich hier in eine Art argentinischer Kaffeefahrt geraten bin. Fehlt nur noch das die Ureinwohner schnell vor unserer Ankunft Jeans und T-Shirt gegen ihre Ponchos eintauschen und uns mit ihren traditionellen Tänzen erfreuen. Der Stopp darf nicht länger als 20 Minuten dauern, so werden wir ermahnt, um sich in der Schlange vor der Toilette vorzuarbeiten dürften diese aber nicht ausreichen. Was soll´s, Bäume gibt´s genug, schließlich bin ich ja ein Mann.
Pataonian Lake
Nach 20 Minuten ist Abfahrt und der Ausflug geht weiter, wie er angefangen hat. Ein See, "mira, mira, que lindo" im Vorbeifahren und weiter geht´s. Ich wende ein dass ein Stopp doch mal ganz nett wäre aber unser Kaffeefahrt-Oberst ist streng mit seinen Untertanen. Nach 6 stündigem Staubschlucken auf der Waldpiste haben wir unser Ziel, das Örtchen San Martin de los Andes erreicht, nicht mehr als 2000 Einwohner und etwa ebensoviele Tagesgäste die in den ortsansässigen Restaurants fachkundig ausgenommen werden sollen. Hierzu gibt man den Restaurantbetreibern und Kaffeebesitzern mit 2 Stunden reichlich Zeit. Um zu verhindern, dass die Touristen fliehen hat man den Aufenthalt auf die Zeit der Siesta gelegt, zu der alles außer der Restaurants geschlossen ist. Ich warte nur darauf, dass hinter irgendeinem Baum ein Clown hervorgespringt, der uns Heizdecken oder Bratpfannen verkaufen will, aber auf diesen Höhepunkt einer jeden europäische Butterfahrt müssen wir hier leider verzichten.
Gleicher Rückweg und das gleiche Spiel. Die ganze Landschaft entlang der Straße ist in eine dicke Staubschicht gehüllt, der Staub geht durch jede Ritze und legt sich auf alles nieder, unsere Kleidung und Gesichter eingeschlossen. Mein Sitznachbar, ein lustiger, kräftiger Brasilianer aus Brasilia, der in Wien studiert hat und recht gut Deutsch spricht, und ich machen unsere Scherzchen über den Ausflug. Offensichtlich sind wir beide die einzigen, die andere Erwartungen hatten.
Einen zweiten Ausflug, den ich bereits gebucht habe, werde ich morgen sofort stornieren. Statt dessen sind von jetzt an ein Leihwagen und meine Wanderstiefel die Transportmittel meiner Wahl.

Montag, 15. Januar 2007

Goodbye Mendoza

Humming bird
Reisen bedeutet auch Abschied nehmen. Abschied von einem Ort, an dem man gerade gelernt hat sich zurechtzufinden, von dem man weiß wo es den besten Kaffee gibt und wo das beste Restaurant. Heute heißt es für mich Abschied nehmen von Mendoza und da ich erst mit dem Nachtbus nach Bariloche weiterreise habe ich noch einen ganzen Tag zur Verfügung. Ich möchte ihn dazu nutzen mir den großen Park der Stadt anzusehen und das Stadion, daß an seinem Ende liegt und für die Fußball Weltmeisterschaft 1978 errichtet wurde.
Den Eingang des Stadtparks bildet ein großes schmiedeeisernes Tor, wie man es vielleicht bei einem Schloß erwarten würde. An Stelle des Adlers, prangt an dessen höchster Stelle ein eiserner Condor, der mächtige Andengeier. Ich schreite hindurch und befinde mich mitten in einer blühenden Parklandschaft. Mir fällt das Bewässerungssystem der Parkes auf, beidseitig der Wege verlaufen kleine Kanäle, nicht breiter als einen Schritt, von denen aus man das Wasser, mittels kleiner Schleusen, in kleinere Kanäle umleiten kann und so die Versorgung der gesamten Vegetation sicherstellt.
Überall wo ich hingehe hört man Wasser glucksen oder große Fontänen aus riesigen Springbrunnen schießen, die man sonst nur in den großen Metropolen dieser Welt findet.
Wasser, der kostbarste Luxus in einer Wüstenstadt überhaupt, gibt es hier in Hülle und Fülle.
Ich schlendere durch duftende Rosergärten und dicht bewachsene Baumspaliere, bis ich mich schließlich auf einer Parkbank unter einem, in voller Blüte stehenden, Busch setzte, um wenig auszuruhen und in meinem Buch zu lesen. Was wäre wohl, überlege ich, wenn die Klimaerwärmung es nicht mehr schneien ließe in den nahen Bergen. Die Stadt wäre ohne das Lebenselexier, das der Schnee im Sommer freigibt verloren.
Während ich auf meiner Parkbank sitzte beobachte ich zwei kleine, bunt schillernde Kolibris, wie sie sich von Blüte zu Blüte jagen, kaum länger als eine oder zwei Sekunden dort verweilen um den Nektar zu trinken und schon wieder fort sind.
Ich hole meine Kamera aus der Tasche, schraube das 300 mm Objektiv auf und warte auf eine günstige Gelegenheit für ein Foto von ihnen.
"Beija flor", Blumenküsser, werden diese winzigen Vögel auf portugiesisch genannt, die einzigen ihrer Art, die nicht nur vorwärts sondern auch rückwärts fliegen können.
Nachdem ich zu meinem Foto gekommen bin, gehe ich langsam in Richtung Stadtzentrum zurück. Ich komme an hübschen Einfamilienhäusern vorbei, manche im Kolonial- andere im Bauhausstil eines Frank Lloyd Wright. Ich schaue auf die Klingelschilder aus Messing und entdecke unter dem Namen die Berufsbezeichnung "Abogado" oder "Medico". Es scheint hier, wie in aller Welt zu sein, in der Nähe der Parks wohnen die wohlhabenden Leute.
Dodge Coronado
Wenn man durch die Stadt spaziert, fallen die sauberen Straßen, die gefplegten Häuser, mit kleinen Vorgärten und die Dichte an Oldtimern auf. Manche sind in erbärmlichen Zustand und werden nur deswegen nicht verschrottet weil sie noch funktionieren, vielen sieht man ihr Alter jedoch nicht an. Das fast vollständige Fehlen von Feuchtigkeit, es regnet hier praktisch nie, scheint die Autos über 30, 40 Jahre gut konserviert zu haben, und bei einem Benzinpreis von gerade einmal €0,45 für einen Liter ist das, selbst bei dem hohen Verbrauch der Straßenkreuzer, ein erschwingliches Hobby.
Überhaupt haben die Mendozinos Stil, der sich in der Architektur, den Geschäften und auch in ihrer Art sich zu kleiden wiederspiegelt. Mir gefällt die legère Eleganz, der Menschen hier.
Ich komme wieder, ganz bestimmt!

Spiral Dive

About to land
"Now run!", ruft mir Tato zu und ich mache noch einen Schritt, doch der geht bereits ins Leere. Der Wind hat unseren Gleitschirm erfasst und zieht uns unablässig nach oben. Bald sind wir 20 oder 30 Meter über dem Abflugplatz und der lag auf 1800 Meter. Alles ist still, nur der Wind in meinen Ohren. Das Fliegen bin ich eigentlich gewohnt, aber nicht diese Art des lautlosen in der Luft Gleitens. Nur ab und zu nimmt man den leisen Pfeifton des Höhenmessers wahr, der immer dann, wenn man sich in einem Aufwind befindet, dies anzeigt. Ich bräuchte diese akustische Unterstützung nicht, denn ich spühre deutlich, wie der heiße Wüstenwind uns weiter und weiter nach oben trägt.
"How are you?", fragt Tato nun und ich sage ihm dass es mir gut geht. "Then relax, relax your hands, man", erwiedert er darauf und erst jetzt merke ich dass meine Hände die Gurte, in denen ich hänge, fest umklammern. Ich hatte das Bedürfnis mich irgendwo festzuhalten, aber nun lasse ich los. Noch eine Kurve und wir sind nun so hoch, daß wir die Bergkette, von der wir gestartet sind, überblicken und die Hochkordiliere mit ihren 6000ern sehen können. Als ich nach unten schaue ist da nichts außer der grandiosen Landschaft der Anden. Genau kann man erkennen wie sich die Berge einst aufgefaltet haben, ich sehe die riesigen Weinanbaugebiete rund um Mendoza und in weiter Ferne den Platz, den Tato uns beim Vorbeifahren als den Landeplazt vorgestellt hat.
So könnte ich ewig durch die Luft schweben, gestreichelt von dem warmen Wind und der langsam untergehenden Sonne.
"Do you like spiral dive", fragt mich mein Pilot nach einiger Zeit und weil ich mir darunter nichts vorstellen kann bejahe ich. Er erklärt mir kurz, dass ich dann, wenn er es sagt mein Körpergewicht nach links oder nach rechts verlagern soll. Dann kommt das erste Kommando "left!" und auf einmal erhöht sich die Geschwindigkeit und wir gehen in eine enge Steilkurve. "Right" und wir ändern die Richtung und liegen fast waagerecht in der Luft. Ich spühre, wie mich die Fliehkraft in die Sitzvorrichtung drückt. "And now maximum speed" kündigt der Mann hinter mir an und der Schirm geht nun erneut auf die andere Seite und schraubt sich in kleinen Kreisen schnell zu Boden. Das Blut wird mir aus dem Kopf gedrückt und ich schließe für einen Moment die Augen. Hinter mir höre ich ein freudiges Jauchzen.
Circling
Als der Landeplatz immer näher kommt, fällt mir ein, dass die Landung in unserem Briefing noch gar nicht erwähnt wurde. Kurz bevor wir am Boden aufkommen, sagt Tato nur kurz "now get up and run". Ich tue, wie mir geheißen wurde und schon spühre ich wieder festen Boden unter den Füßen. Ein, zwei Schritte und wir kommen zum Stehen, der Schrim fällt hinter uns zusammen und Tato befreit mich aus den Gurten, die mich gehalten haben.
Meine Knie zittern ein bisschen als ich ihm helfe, den Schirm, unsere Helme und Knieschoner in eine Tasche zu packen. Oben auf dem Gipfen warten noch zwei junge Frauen auf ihren Flug. Schnell sind die Schirme wieder im Landcruiser verpackt, für uns Zurückbleibenden werden Klappstühle aufgestellt und eine Kühlbox mit kalten Getränken aus dem Wagen geholt.
Erik und Georgia, die kurz vor mir gestartet und auch gelandet waren, kommen aus Kroatien. Wir kommen ins Gespräch und sie erzählen mir, dass sie den Aconcagua bestiegen haben, seit dem 10. wieder in Mendoza sind und die verbleibende Zeit dazu nutzen noch ein wenig Spaß zu haben. Erik, ich schätze ihn etwa auf mein Alter, ist ein Naturbursche, gebräunt mit wilden blonden Haaren und riesigen, kräftigen Händen. Seit über 20 Jahren ist er ehrenamtlich bei der kroatischen Bergrettung tätig aber der höchste Gipfel dort ist nur 1200 Meter hoch. Ich frage ihn über die Besteigung aus, wie er mit der Kälte und dem Sauerstoffmangel zurecht gekommen ist. Er erzählt, daß einige aus seiner Gruppe vor Erschöpfung aufgeben mussten und dass er selbst ab 6000 Metern mit starken Kopfschmerzen kämpfte, aber, so fährt er fort, die Strecke sei wenig anspruchsvoll und die Schlacht müßte im Kopf geschlagen werden.
Während wir reden sind unsere Piloten nun mit den beiden Frauen aus der Gruppe in die Luft gegangen. "Sieh hin", macht Erik mich aufmerksam, "für die beiden Mädels machen sie eine Show". Und tatsächlich fliegen sie erst eine ganze Zeit nah beisammen, bis auch die Damen in den Genuß eines "spiral dives" kommen. Ich kann die Schreie bis hier unten hören und wir drei hier am Boden fangen an zu grinsen.
Fun in the sky
Auf der Rückfahrt läd Tato uns noch zu einem kleinen Imbiss und ein paar Fläschen Bier unter freiem Himmel ein und beim Verabschieden wird mir das Versprechen abgenommen die Fotos, die ich an diesem Tag gemacht habe allen per Email zu senden.

Sonntag, 14. Januar 2007

Gans im Glück

Mendoza Street
Die Sonne schickt ihre rötlichen Strahlen in mein Hotelzimmer und weckt mich. Es ist kurz vor 9 Uhr. Ruhetag, denke ich, kein frühes Aufstehen um eine Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt zu treffen und dann auf eine Exkursion zu gehen. Der heutige Tag ist dafür reserviert die Stadt Mendoza zu erkunden. Bislang kam ich immer müde und ausgehungert in mein Quartier zurück, nur Zeit dafür den Schmutz des Tages von mir zu waschen und mir ein Restaurant zu suchen. Ich brauchte neue Energie für den nächsten Tag.
Laut meines Reiseführers ist Mendoza eine der schönsten Städte Argentiniens. Auffallend sind die zumeist niedrigen Gebäude im Kolonialstil und die bereits erwähnten Platanen, die so gut wie alle Straßen der Stadt wie ein Baldachin überspannen und so im Sommer für ausreichend Schatten sorgen. Wie hübsch muß die Stadt im Herbst aussehen, wenn das satte Grün der Blätter allen erdenklichen Rot- und Brauntönen weicht, denke ich, während ich durch die Gassen schlendere.
Die Plaza, der zentrale Ort jeder größeren Stadt Lateinamerikas, fehlt auch hier nicht. Jedoch hat man hier nicht nur einen, sondern gleich fünf davon. Sie sind in der Altstadt wie die fünf auf einem Spielwürfel angeordnet, wobei sich der größte, die Plaza Independencia, in der Mitte befindet. Hier trifft man sich am Abend, genießt die hereinbechende Nacht mit ihren kühleren Temperaturen und läßt sich von Gauklern und Straßenmusikern unterhalten.
Nach der Plaza Independencia beginnt die Fußgängerzone der Stadt und gerade als ich dort hineinlaufe höre ich das Quaken einer Gans, laut, fast flehend. Ich drehe mich um und sehe einen Mann mit einem jungen Hund, einem Weimaraner Welpen, an der Leine und dicht hinter den beiden eine Gans, den Kopf weit vorgestreckt, bei dem Versuch mit den beiden Schritt zu halten, was ihr mit den kurzen Gänsebeinchen sichtlich schwer fällt. Der Welpe dreht sich ab und zu um, und wirft einen ängstlichen Blick auf den Verfolger, der Mann jedoch ignoriert den lautstarken Begleiter völlig. Passanten bleiben stehen, lachen und schüttlen ungläubig den Kopf. Offensichtlich hat sich die Gans in den kleinen Hund verliebt, denke ich, und mir fällt die Geschichte von dem Schwan ein, der sich in ein Tretboot verliebte und es den ganzen Sommer lang werbend umschwamm.
Puppy love
Der Anblick des Wasservogels erinnert mich an den Swimmingpool meines Hotels. Die Vorfreude auf ein Bad im kühlen, klaren Wasser und ein paar Stündchen lesend im Liegestuhl zu verbringen, lenken meine Schritte zurück zu meiner Unterkunft. Noch schnell eine Exkursion für morgen gebucht. Welche? Dazu morgen mehr.

Samstag, 13. Januar 2007

Den Göttern nah

Road to "Las Cuervas"
Meter um Meter klettert der Bus auf den staubigen Serpentienen nach oben. Zeitweise kommt unser Fahrzeug dem ungesicherten Abgrund verdächtig nahe. Mir fallen Nachrichten über in den Anden abgestürzte Busse ein, bei denen niemand überlebte. Die Höhe, der Staub und die Hitze machen mir zu schaffen - die Klimaanlage wurde ausgeschaltet um den Motor nicht zu überlasten. Noch etwa 300 Höhenmeter bis zu unserem Ziel, als ein unangenehmer Pfeifton Alarm schlägt. Der Motor fäng an zu kochen. "No hay problema", sagt Xavier, unser Fahrer, bei den deutlich tieferen Temperaturen hier oben wird´s nicht lange dauern. Tatsächlich liegen hier und da noch schmutzige Schneereste, die überall dort wo sie schmelzen die Staub- in eine Schlammpiste verwandeln. Xavier behält Recht, nach wenigen Minuten können wir auch die letzten Meter nach "Las Cuevas" mit dem Minibus zurücklegen. Unser Ziel liegt 4200 Meter über dem Meeresspiegel und bildet die Grenze zwischen Argentinien und Chile. Als wir endlich aus dem Bus aussteigen bläst uns ein eisiger Wind entgegen, belohnt wird die Anstrengung mit einem atemberaubenden Ausblick. Ich kann mich einfach nicht entscheiden, an welche Stelle ich zuerst gehen, was ich zuerst fotografieren soll.
Dangerous Road
Berühmt wurde "Las Cuervas" für seine 1904 erbaute Christusstatue, "Christo Redendor", die an die friedlich Beilegung eines Grenzkonflikts zwischen Chile und Argentinien erinnern soll. Ohne technische Hilfsmittel, nur mit Muskel- und Maultierkraft wurde der etwa 10 Meter hohe Stahlkoloss Anfang des letzten Jahrhunderts an diese Stelle geschafft.
Von Mendoza aus sind wir heute morgen enlang des alten Incatrails und immer dem "Rio Mendoza" folgend zu unserer Exkursion aufgebrochen. Der Rio Mendoza schießt mit 10 Metern pro Sekunde zu Tal und hat zu dieser Jahreszeit eine beige Schlammfarbe, soviel Sediment führt er mit sich. Im Winter, so sagt mir unser Führer Paulo, sei er ganz klar und längst nicht so schnell. Unser Ziel sind die Hochanden, vorbei an "Puente del Inca", einer einmaligen Naturbrücke aus Ablagerungen des schwefelhaltigen Wassers. Diese Gegend ist eine der seismologisch aktivsten des Kontinents. Erdbeben gehören zur Tagesordnung, allerorten sprudeln heiße Quellen aus dem Boden, selbst der mächtige Aconcagua, der höchste Andengifpel wächst jedes Jahr um 3 Millimeter. Nach "Puente del Inca" passieren wir den Eingang zum "Parque del Cerro de Aconcagua". Von hier ab braucht man eine Genehmigung um weiterzugehen, von hier starten alle Expeditionen zu dessen Gipfel. Mir fallen die zwei jungen Polen ein, die ich vor dem Flug von Sao Paulo nach Buenos Aires wegen ihres Gepäcks und ihres Bergoutfits angesprochen habe und die mir erzählten, daß sie das "Dach Amerikas", wie der Aconcagua auch genannt wird, besteigen wollen. Für einen Aufstieg, so erklärt Paulo, braucht man bei optimalen Wetterbedingungen 14 bis 18 Tage, aber die herrschen fast nie. Auch als wir die Stelle passieren, von der man ihn in seiner ganzen Größe von der Südseite sehen könnte ist der Gipfel immer noch in Wolken. Weiter erzählt er, daß vor einigen Jahren zwei Bergsteiger in 5000 Metern Höhe die Mumie eines Incakindes gefunden haben. Ohne vibrambesohlte Schuhe, ohne Goretex und Powerbar sind die Incas bis auf diese Höhe vorgedrungen um den Göttern nah zu sein.
Going nowhere

Freitag, 12. Januar 2007

Mutprobe

Rapel
Sie sagt Ihr Name ist Anna Maria und sie kommt aus Italien, lebt aber schon seit früher Kindheit in der Schweiz. Dabei schaut sie mich mit ihren funkelnden braunen Augen an, lächelt und versucht gleichzeitig ihre Lockenmähne zu bändigen, die ihr der Wind immer wieder ins Gesicht bläst.
Ihre Geschichte ähnelt der meinen: im letzten Jahr zu viel gearbeitet, keine Lust auf den Züricher Winter und eine Chefin, die ihr erlaubt hat für 6 Wochen ihren Arbeitsplatz zu verlassen um nach Argentinien zu fliegen und dort die Reise ihres Lebens zu machen.
Wir sind auf dem Weg zum Gipfel eines namenlosen Berges, ein heißer und trockener Wind bläst und die Sonne steht schon hoch und brennt unbarmherzig. Schatten Felhanzeige!
Wir, das ist eine Gruppe von etwa 15 Personen, die sich vorher nicht kannten und bunt gemischt sind. Ein paar Brasilianer, die sofort für gute Stimmung sorgen, zwei Schweizer, ein Österreicher eine Gruppe Argentinier und ich.
The guide
Der Untergrund ist rutschig und ich versuche mich an die Tipps unseres Führers zu erinnern: "Wenn ihr ausrutscht, versucht mit dem Körper runter auf den Boden zu gehen und den Sturz so abzufangen. Versucht euch auf gar keinen Fall mit den Händen abzustützen. Fast alle Pflanzen sind dornenbewehrt und die Stacheln der Kakteen bleiben in der Haut stecken und müssen herausoperiert werden." Als Warnung reicht das aus um uns vorsichtig zu machen und tatsächlich haben alle Büsche Dornen und Kakteen stehen zahlreich entlang des Pfades.
Jetzt verstehe ich auch die Ermahnung beim Buchen der Exkursion, lange Hosen zu tragen und eine Mütze, ausreichend Wasser und Sonnenschutz mitzubringen.
Schnell zieht sich die Gruppe auseinander, die Alpenanrainer vorne weg, die Brasilianer bilden das Schlußlicht, was ihre gute Laune aber nicht zu mindern vermag. Als Höhepunkt der Wanderung werden uns 3 Stellen beim Abstieg versprochen an denen wir uns abseilen müssen. Dass das Wort Höhepunkt etwas mit Höhe zu tun hat, hätte mich stuzig machen sollen. Die ersten beiden Passagen sind mit ewta 20 - 25 Metern zwar respekt-, aber nicht furchteinfößend. Eine kurze Erläuterung, wie das Geschirr anzulegen ist, in dem man später sitzt und am dem das Seil befestigt wird, eine Einweisung wie man mittels der Änderung der Führung des Seils durch die Hand die Abstiegsgeschwindingkeit regulieren kann und dann melde ich mich als erster zum Abstieg. Unter den neugierigen Blicken aller anderen lehne ich mich über die Felskante, stehe nun im 90° Winkel zur Wand und versuche mich genauso abzuseilen wie man es mir gerade erklärt hat. Schnell merke ich, daß die Hand am Führungsseil heiß wird und nach der Hälfte der Strecke muß ich anhalten um die Hand abzukühlen. Als ich wieder sicheren Boden unter den Füßen spühre bin ich froh und stolz.
Die zweite Passage ist der ersten ähnlich, glatter Felsen und nicht höher als 20 Meter. Als wir jedoch zur dritten und letzten Passage kommen stockt allen der Atem. Vor uns liegen nochmal 50 Meter zerklüfteter Felswand die von uns bezwungen werden wollen. Wieder melde ich mich als erster. Das Problem mit der Reibungswärme an der Hand habe ich mittlerweile unter Kontrolle bekommen, jedoch ist das, der Form einer 8 ähnlichen, Metallstück, durch das das Seil läuft und das mit einem Karabinerhaken am Geschirr befestigt ist nach den 50 Metern so heiß, das man es nicht mehr berühren kann. Fast alle nehmen die Herausforderung an, nur zwei junge Frauen trauen sich nicht, und gehen mit dem Führer, der das Sicherungsseil nach unten bringt zu Fuß zu uns ins Tal.
Zur Belohnung gibt es noch 45 Minuten im 38°C warmen Wasser heißer Quellen, die sich in der Nähe unseres Ankunftspunkts befinden.

Mittwoch, 10. Januar 2007

Rotwein in der Wüste

La Boca
Der Aconcagua versteckt seinen Kopf in den Wolken, als der Pilot die Boeing 737 in Mendoza landet. Seine Größe läßt sich nur erahnen, denn selbst die sichbaren Teile sind verschneit, wohingegen mir beim Aussteigen trockene Hitze entgegenschlägt, schießlich bin ich in der Wüste.
Der Acongagua ist mit fast genau 7000 Metern der höchste Berg des amerikanischen Doppelkoninents und einer der höchsten Berge der Welt. Nur im Himalaya finden sich höhere Gipfel. Mendoza, Hauptstadt der gleichnahmigen Provinz und nur noch 150 Km von Santiago de Chile entfernt, ist die Ausgangsstation für Expeditionen, die aus der ganzen Welt anreisen um den Berg zu bezwingen. Davon zeugen Agenturen, die den Aufstieg organisieren, Ausrüstung verleihen und Maultiere und Träger zur Verfügung stellen, die man in der ganzen Stadt finden kann.
Weltberühmt ist Mendoza jedoch nicht für seine Lage am Fuß der Anden, sondern für seinen Rotwein. Ein Weinanbaugebiet mitten in der Wüste? Ein Bewässerungssystem aus präkolumbianischer Zeit, daß die Region mit Schmelzwasser aus den nahen Anden versorgt macht´s möglich. Man findet die Wassergräben überall links und rechts neben den Straßen. Diesen verdankt die Stadt auch die tausenden von Platanen, die überall an den Straßenrändern stehen und so ein natürliches Dach über ihnen bilden, das die sengende Sonne im Sommer abhält.
Waren alle Stationen meiner Reise bereits alte Bekannte, so befinde ich mich seit heute auf Neuland. Meinen ursprünglichen Plan die Strecke Buenos Aires - Mendoza - San Carlos de Bariloche - Peninsula Valdez - Buenos Aires mit dem Leihwagen abzufahen musste ich aufgeben. Die Strecke ist mit etwa 6000 Km zu lang und die Straßen zu schlecht als daß man sie in angemessener Zeit hätte zurücklegen können. So habe ich, und auch das ist Neuland für mich, zum ersten Mal eine Reise von einer Agentur für mich zusammenstellen lassen und somit wird von nun an nichts mehr dem Zufall überlassen. Bei meiner Ankunft hielt bereits ein Fahrer ein Schild mit der Aufschrift "Wolfran Winler" in die Höhe, damit war zweifelsfrei ich gemeint. Nachdem ich in seinen Wagen gestiegen war übergab er mir einen Umschlag mit der Aufschrift "Wolfram Wincker", auch hier war ich der Empfänger, der die Unterlagen für mein Hotel und den Gutschein für den nächsten Transfer enthielt. Es gibt unglaublich viele verschiedene Möglichkeiten meinen Namen falsch zu schreiben. Ich sollte mal eine Liste darüber anlegen.
Eigentlich ist das eine recht angenehme Art zu reisen. Man muss sich nur zu den verabredeten Zeiten am verabredeten Ort einfinden, um alles andere kümmern sich andere.
Meine erste Wanderung in den Anden werde ich morgen unternehmen. Von Wanderungen auf eigene Faust, wie ich sie aus den heimischen Alpen kenne, wurde mir dringend abgeraten. Zu leicht könnte man sich verirren, zu groß sind die Gefahren. So wandere ich morgen in Gruppe und mit Führer.

Dienstag, 9. Januar 2007

Am liebsten unterirdisch

Subte
Wo immer ich bin, wenn es heißt von einem Punkt zum anderen zu kommen verlasse ich mich auf öffentliche Verkehrsmittel und am liebsten fahre ich mit der U-Bahn. In Buenos Aires heißt diese Subte und das steht als Abkürzung für Subterrano. Es gibt 5 Linien, von denen 4 sternförmig auf einen Punkt zulaufen und eine Linie, die alle anderen kreuzt und somit eine Verbindung untereinander schafft. Ich liebe U-Bahnen, denn wo immer man ist, ist es kinderleicht sich zurechtzufinden. Nur ein Blick auf die "U-Bahn Spinne" und sofort weiß man wann man wo umsteigen muss. Außerdem sind sie in dem meisten Städten spottbilling, in BA kostet eine Fahrt, egal wohin, 17 Eurocent, und immer pünktlich.

Jedes Land hat seine eigene U-Bahn Kultur. In Tokyo gibt es die Pusher, die zu den Stoßzeiten die Reisenden in die Bahnen drücken und darauf achten, daß kein Körperteil mehr außerhalb des Abteils ist, wenn die Türen schließen, in New York die lizensierten Straßenmusiker, die erst vor einer Jury eines Konservatoriums vorspielen müssen um die begehrten Musiziererlaubnis zu erhalten und hier in Buenos Aires gibt es diverse fliegende Händler, die in einer Station einsteigen und auf dem Weg zur nächsten ihre Ware lautstark feilbieten, mal Kinderspielzeug, mal Telefonkarten, mal Schulhefte und bei der nächsten Station wieder aussteigen um auf den nächsten Zug zu warten.
Auffällig ist, daß Mann beim Ein- und Aussteigen Damen den Vortritt läßt, was dazu führt, daß alle Frauen fast immer einen Sitzplatz erhalten. Das ist die Kehrseite des südamerikanischen Machismo. Beim Frühstück im Hotel kann ich jeden Morgen beobachten, wie Frauen zuerst ihre Gatten und Kinder vom Buffet bedienen bevor sie sich selbst hinsetzen und dann sind die anderen schon fast fertig.

Argentinier sind keine großen Frühstücker, wen wundert´s wenn man kurz vor Mitternacht gerade erst ein Riesensteak verdrückt hat. Das klassische Frühstück besteht aus Hörnchen, die hier "medialunas", also Halbmonde, heißen und einem Milchkaffee. Das deckt sich ziemlich genau mit dem Frühstück, daß ich selbst zu Hause immer einnehme. Ich nehme für mich in Anspruch ein ausgewiesener Croissant-Experte zu sein. Es gibt da Riesenunterschiede in Qualität und Preis. Die, meiner Meinung nach, besten gibt es jedoch nicht in Frankreich, sondern genau hier in Argentinien. Es gibt zwei verschiedene Sorten, solche aus Mürbteig und Butterhörnchen, letztere sind meine Favoriten. Im Unterschied zu denen in Deuschland oder Frankreich, sind diese hier leicht gesüßt und haben ein feines, kaum spürbares Aprikosenaroma - einfach himmlisch. Dafür würde man gerne auch ein bisschen mehr zahlen, muss man aber gar nicht, denn billig sind sie obendrein. Ich habe heute bei einem Bäcker 10 Stück für $ 2,20 gesehen, das entspricht € 0,55 also gerade einmal 5,5 Eurocent pro Stück. Im Café verlangt man dagegen $1, also € 0,25.
Malvinas Memorial
Auf meinem Weg durch die Stadt kam ich heute am Denkmal für die im Falklandkrieg gefallenen Soldaten vorbei. Es wird von 2 bewaffneten Uniformierten bewacht und zeigt schwarze Marmortalfeln mit den Namen aller derer, die nicht wiedergekehrt sind. Die Schmach der Niederlage sitzt immernoch tief in der stolzen argentienischen Seele, wenn sie dem Land auch letztlich die lang ersehnte Freiheit und Demokratie wiedergebracht hat.
In einer Nacht- und Nebelaktion landeten damals argentinische Truppen auf den "Islas Malvinas" und erklärten sie zu argentinischem Hoheitsgebiet. Das Militär rechnete nicht damit, daß das Vereinigte Königreich seine Truppen um die halbe Welt schicken würde um sie wieder zu vertreiben. Eine fatale Fehleinschätzung, die den Generälen in der Folge die Macht kosten sollte.

Helden

Evita
Es gibt drei argentinische Nationalhelden, die nicht nur hierzulande jedes Kind kennt und jeder von ihnen hat Argentinien, vielleicht sogar die ganze Welt, ein bisschen verändert: Eva "Evita" Peron, einst Radiosprecherin und spätere First Lady des Landes, Ernesto "Che" Guevara, der als junger Medizinstudent mit seinem Hund und einem Freund auf einem alten Motorrad ganz Südamerika bereiste und nach der Rückkehr, ein Jahr später, von den Erlebnissen dieser Reise geprägt, sein Leben dem Kampf gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit widmete, an der Seite Fidel Castros Kuba befreite, zum Minister wurde und schließlich vom CIA in Bolivien ermordet wurde, und Diego Armando Maradona, die bereits
erwähnte "Hand Gottes", einer der drei größten Fußballspieler aller Zeiten (neben Pelé und unserem Kaiser).
Einen dieser drei habe ich heute besucht, und da sie schon verstorben ist konnte sie sich auch nicht mehr dagegen wehren. Das Grab Evita Perons steht auf dem Friedhof von La Recoleta. Kein Friedhof im herkömmlichen Sinne, eher eine Nekropole, in der die Toten nicht in einfachen Gräbern, sondern in kleinen Mausoleen bestattet wurden, einige von ihnen größer, als die Behausungen, die so mancher Argentinier bewohnt. Manche sind antiken Templen nachempfunden, andere wieder kleine Kapellen, in manchen werden die Särge in Nischen eingemauert und in anderen stehen sie hinter gläsernen Türen aufgebahrt.
In La Recoletta wurden alle Reichen und Berühmten zur Ruhe gebettet, nur Ruhe finden sie hier freilich keine. Längst hat sich der Friedhof zur Touristenattraktion gewandelt, in dem die Reisegruppen von ihren Führern durch die Gassen der Totenstadt geführt werden, vorbei an Schriftstellern, ehemaligen Präsidenten und Generälen.
Was im Pariser Louvre die Mona Lisa ist, ist in La Recoleta das Grab der Familie Duarte, in der Eva Peron (geborene Duarte) beigesetzt ist. Lange Schlangen bilden sich davor, man hört Reiseleiter in Japanisch oder Englisch dozieren, schnell noch ein Foto und dann ab zur nächsten Attraktion.
Für Argentinier ist Evita allerdings mehr als eine Attraktion, ihre Verehrung ist echt und damit darf man nicht spaßen. Als das Musical "Evita" vor einigen Jahren mit Madonna in der Hauptrolle verfilmt wurde, war das Entsetzen darüber, daß Evita nicht von einer Argentinierin, sondern ausgerechnet dieser Amerikanerin zweifelhaften Rufs, gespielt wurde, so groß, daß man kurzerhand eine eigene Version davon drehte und die Rolle der Eva diesmal mit einer Argeninierin besetzte.
Der andere bereits verstorbene Nationalheld, Ernesto Guevara, liegt nicht hier in La Recoleta. Er wurde nach seiner Ermordung in La Paz vom CIA verscharrt, erst vor wenigen Jahren wiedergefunden und auf Geheiß des kubanischen Präsidenten nach Kuba überführt, wo er, 50 Jahre nach seinem Tod, mit einem Staatsbegräbnis, unter aufrichtiger Anteilnahme der Bevölkerung, beigesetzt wurde. Übrigens wurde auch seine, sein Leben verändernde, Reise verfilmt. Sowohl der Regisseur Walter Salles als auch der Hauptdarsteller der "Motorcycle Diaries", Gael García Bernal, kamen aus Lateinamerika und somit wurde diese Verfilmung akzeptiert.
San Telmo
Ich wette, alle drei von ihnen waren irgendwann in ihrem Leben mindestens einmal im Café Tortoni, dem ältesten und schönsten Café der Stadt. Während zwischen dem Präsidentenpalast und dem Kongressgebäude der Verkehr tobt, ist die Zeit im Tortoni stehengeblieben. Bilder an der Wand, Geschenke der hier verkehrenden Künstler, zeugen von einer vergangenen Epoche in der sich hier Literaten, Maler und Politiker trafen und bei einem café cortado Ideen austauschten. So manch ein Putsch mag hier geplant worden sein, so mancher Roman der Weltliteratur, Jorge Luis Borges war hier Stammgast, wurde von den prominenten Gästen inspiriert.
Auch ich war heute hier zu Gast und versuchte mich von der Atmosphäre inspirieren zu lassen, doch zu mehr als dem, was der geneigte Leser jetzt vor sich zu liegen hat, hat es leider nicht gereicht.

Sonntag, 7. Januar 2007

Ich mag keine Sonntage

Tangoband "La Furca"
Das ist so und war schon immer so. Schon als Kind habe ich nur darauf gewartet, daß die Woche wieder anfängt, während andere das Wochenende herbeigesehnt haben. Heute jedoch habe ich mich auf den Sonntag gefreut, denn am Sonntag findet im Stadtteil San Telmo ein Antiquitätenmarkt statt und der bildet einen weiteren Höhepunkt der Reise. Ich kenne die "Fera" noch von vor etwa 5 oder 6 Jahren, als ich ihn, im hiesigen Winter, zum ersten Mal besuchte.
San Telmo ist, mit seinen Antiquitätenläden, von denen sich die meisten auf bestimmte Epochen oder Gegenstände spezialisiert haben, schon unter der Woche einen Besuch wert. So kann man in einem Möbel aus den 70er Jahren, in einem anderen altes Porzellan und wieder einem anderen altes Spielzeug kaufen. Ich habe vor einigen Jahren hier eine "Longines Flagship" Armbanduhr aus den 50ern erstanden, die ich oft und gerne trage.
Als ich heute gegen 11:00 Uhr vormittags an der Plaza Dorrego ankam war ich zunächst enttäuscht, denn aus dem beschaulichen Markt ist eine Art Volksfest für Touristen geworden. Geheimtipps bleiben halt nicht für immer Geheimtipps. War der Führer "lonely planet" früher nur in der Hand einiger Rucksacktouristen, die mit wenig Geld reisten und für die er ja ursprünglich auch gedacht war, so sieht man ihn heute bei jedem Pauschaltouristen, den Busse an den Sehenswürdigkeiten in Massen ausgespeien.
Meine anfängliche Enttäuschung legte sich jedoch bald, denn trotz des Massenandrangs hat sich an seinem Charakter nichts geändert. Mit der Expansion stieg auch das Unterhaltungsangebot, das in der Hauptsache aus Tangotänzern und Straßenmusik besteht. Man darf sich die Straßenmusiker jedoch nicht so vorstellen, wie man sie aus unseren Fußgängerzonen kennt, hier haben sich ganze Straßenorchester zusammengefunden, das größte, die Tangomusiker "La Furca" umfasst 9 Personen, wobei der Pianist an einem richtigen Piano, und nicht ewta an einem dieser seelenlosen Keybords, sitzt. Wie er das dahin geschafft hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben.
Ich verbrachte also eine Großteil meiner Zeit damit den verschiedenen Straßenmusikern zuzuhören. Als Fehler stellte sich heraus, daß ich viel zu wenig Münzgeld und kleine Scheine dabei hatte, um sie in die umherwandernden Hüte zu werfen.
La Boca window
Nachdem ich durch meinen mehrstündigen Aufenthalt in San Telmo bereits in die richtige Volksfeststimmung gebracht war, entschloß ich mich dazu auch noch den zweiten Touristenmagneten zu besuchen, das weltberühmte Viertel "La Boca". Berühmt geworden wegen des Fußballklubs "Boca Juniors" aus dem so ziemlich alle argentienischen Fußballstars, natürlich auch der gotthaft verehrte Maradona, die Hand Gottes, hervorgeganen sind. Bei Touristen höhere Bekanntheit genießt dagegen die "Caminito", die kleine Gasse, mit ihren Wellblech verkleideten und bunt bemahlten Fassaden.
La Boca, der Schlund, liegt direkt am Fluß Riachuelo und war das Viertel derer, die im Hafen oder in den nahegelegenen Konservenfabriken arbeiteten. Der Hafen liegt längst woanders und auch die Konservenfabriken gibt es nicht mehr, geblieben ist nur die bittere Armut der Bewohner. Der Taxifahrer, der mich dort hinbrachte, ermahnte mich eindringlich "el caminito" nicht zu verlassen und mich vor allem vor den Kindern vorzusehen, die den Touristen ihre Wertsachen entreißen und blitzschnell im Gewusel verschwinden. Gleiches hatte ich schon in meinem Reiseführer gelesen und mich extra deswegen zu einem Besuch am Sonntag entschloßen, an dem es vor Ahnungslosen nur so wimmelt, die deutlich bessere Opfer als ich abgeben.

Die Welt ist ein Dorf

Diego Armando Maradonna
Das ist zugegebenermaßen eine Plattitüde und doch, manchmal ist es so. Vor einigen Monaten bekam ich von einer Freundin eine Anfrage, ob sich in meinem Fotoarchiv Fotos von "Puerto Madero", einem Viertel von Buenos Aires, befänden. Sie schreibt gerade ihre Doktorarbeit, die davon handelt, wie ehemalige Industrieanlagen städtebaulich in neue Trendviertel umgewandelt werden und dokumentieren wollte sie dies an Hand von Puerto Madero, dem alten Hafen von Buenos Aires, aus dessen Lagerhallen schicke Apartements, Restaurants und Büros gemacht wurden. Leider hatte ich nichts dergleichen, erinnerte mich aber jetzt daran und fuhr deswegen heute dorthin, um ihr exlusiv einige Aufnahmen zu machen.
Während ich also meine Fotos mache spricht mich jemand, den ich nicht gleich erkannte, an. Wie sich herausstellte, hatte ich, vor über 17 Jahren mit ihm und noch einem anderen Kollegen in einer Wohngemeinschaft in Rüsselsheim gewohnt. Fast unglaublich, daß man sich nun hier über den Weg läuft!

Neben dem, recht touristischen, Puerto Madero ist Palermo Viejo (also Alt-Palermo) das andere wirklich angesagte Viertel der Stadt. Wie der Name bereits vermuten läßt, wurde es zum Ende des vorletzten Jahrhunderts von italienischen Auswanderen gegründed und war lange Zeit ein ärmliches Arbeiterviertel. Heutzutage ist Palermo nun der Ort für exotische Restaurants, Desingermode und -möbel.
Hier läßt sich am besten erkennen, daß sich das Land von der großen Krise von 2001 erholt, bei der der Peso von einem Tag auf den anderen 75% seines Wertes verlor, die Bankguthaben der Bevölkerung eingefroren wurden und Argentinien über Nacht von einem der teuersten zu einem der billigsten Reiseländer mutierte. Damals vorloren viele ihre Existenz und das Land stürtzte in eine tiefe Depression. In nur einer Woche wurden 3 verschiedene Präsidenten ernannt und auch wieder entlassen, ich vermute, nicht ohne vorher nochmal in die klamme Staatskasse gegriffen zu haben und es kam zu einer Auswanderungswelle nie gekannten Ausmaßes.
Die einzige Möglichkeit der betroffenen Menschen, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen war, mit Töpfen und Pfannen stundenlang gegen die, mit Metallplatten verrammelten, Türen der Bankhäuser zu hämmern, weswegen dieser Protest auch den Namen "Pfannenrevolution" bekam. Die Spuren dieses Protestes geben noch heute an den Eingängen der Banken stumm Zeugniss.
Damals wurde auch gerade das "Casa Rosada", der rosafarbene Präsidentenpalast, renoviert. Als das Geld ausging, wurden die Arbeiten eingestellt, so daß dieses ehrwürdige Gebäude, von dessen Balkon schon Evita Peron, alias Madonna, ihr "Don´t Cry for Me Argentina" schmetterte, in zwei verschiedenen Rosatönen an den desolaten Zustand der Staatsfinanzen erinnerte. Als mich heute mein Weg daran vorbeiführte, konnte ich feststellen, daß der gesammte Palast mit Gerüsten verhüllt ist, so daß auch dieser Schandfleck bald getilgt sein dürfte.

Das Abendessen, immer ein Höhepunkt des Tages, nahm ich heute im Filo ein, laut meines Reiseführers eines der 5 Highlights der Stadt. Ich kenne das Filo schon aus den Zeiten, zu denen ich dienstlich ausschließlich nach Südamerika flog und öfters in Buenos Aires zu Gast war. Aufmerksam darauf wurde ich dadurch, daß mehrere Kolleginnen auf verschiedenen Flügen von dem dort beschäftigten Barkeeper, ein typisch argentinischer Beau mit einer langen Mähne und dunklen Augen, schwärmten. Gerüchten zufolge, an denen ich mich nicht beteiligen möchte, soll er einer ganzen Reihe von Kolleginen nicht nur die Drinks gemixt haben.
Das Filo ist das einzige italienische Lokal, das ich kenne, das sich den Luxus eines eigenen DJ´s leistet, der House und HipHop auflegt, natürlich sehr dezent. Die Bedienung ist ebenso gutaussehend, wirklich unglaublich gutaussehend, wie arrogant und das Essen ist wirklich ausgezeichnet.
Zu der Uhrzeit zu der ich meinen Platz einnahm bestand das Publikum noch hauptsächlich aus Touristen, Argentinier essen sehr spät, in überwiegender Mehrheit Amerikaner und wo immer Amerikaner auftauchen wird es, sagen wir mal, lebhaft. Vier Rentner aus Michigan oder Wisconsin oder einem anderen aufregenden Ort diese grandiosen Landes, die kurz nach mir das Lokal betraten, reagierten äußerst ungehalten darüber, daß sich der "Waiter" nicht namentlich bei ihnen vorstellte und, wie in den Staaten üblich, gebetsmühlenartig die "specials of the day" heruntleiherte, sondern nur wortlos die Speisekarten verteilte. Der "Belle de Nuit", so habe ich sie genannt, denn eigentlich müßte man für diese Wesen eine neue Berufsbezeichnung finden (eine Bedienung hat ein Dirndl an und trägt mindestens 4 Masskrüge auf einmal, eine "Bell de Nuit" wiegt ewta soviel wie 4 Masskrüge), war das herzlich egal und bediente diese Gruppe mit der selben Nichtachtung, wie alle anderen Gäste auch.

Freitag, 5. Januar 2007

Buenos Dias Argentina

Falcon
...trällerte einst Udo Jürgens, gemeinsam mit der deutschen Fußball Nationalmannschaft, anläßlich der Fußball Weltmeisterschaft 1978 "er war lang mein Weg zu Dir" heißt es dann weiter (für diese Zeilen kann ich keine Garantie übernehmen und müßte erst den Godfather des deutschen Schlagers, meinen Freund Ralf Gollmitzer konsultieren). Sowohl die WM als auch das Lied waren aus deutscher Sicht ein Reinfall, aber zumindest geben sie mir heute die Gelegenheit, meinen Eintrag damit zu beginnen.

Gegen 11:30 Ortszeit bin ich heute in Buenos Aires Ezeiza gelandet. Wie immer auf meinen Reisen habe ich auch diesmal keine Hotelreservierung und wie jedes Mal so kommt auch diesmal ein etwas ungutes Gefühl dabei auf. Was denn, wenn es keine Zimmer zu akzeptablem Preisen mehr gibt? Immerhin ist Hochsommer und damit Hochsaison für Städtereisende, die in Buenos Aires haupsächlich aus dem benachbarten Brasilien kommen, um den äußerst günstigen Umtauschkurs dafür zu nutzen, alles was für Geld zu haben ist blindlings zu kaufen, in große Tüten zu stopfen und nach Hause zu tragen. Zwar habe ich jedes Mal ein ungutes Gefühl ohne Reservierung in der Fremde aufzutauchen, aber ein noch schlechteres Gefühl würde sich einstellen, wenn ich mich bereits Wochen vor Abflug entscheiden müßte wo und wie lange ich zu bleiben gedenke. Der Reiz des Reisens liegt für mich ja gerade darin, nichts planen zu müssen und spontan sein zu können.
Wie jedes Mal hatte ich auch diesmal Glück ein, sehr zentral gelegenes und trotzdem ruhiges, 4 Sterne Hotel zu finden, das sich in meiner Preislage bewegt.

Angekommen erfahre ich, daß mein Zimmer gerade noch gereinigt wird und somit noch nicht fertig zum Bezug wäre. Man biete mir an die Wartezeit in der Hotelbar bei einem "drink on the house" zu verbringen. Diese Angebot lehne ich ab, denn mich erwartet bereits das erste Highlight meiner Reise, ein Besuch im nahegelegenen Café Florida. Dieses Café ist mir seit der Zeit bei Lufthansa bekannt, als es noch Umläufe mit 8 Übernachtungen am Stück in Buenos Aires gab und war stets meine erster Weg nach dem Ausschlafen. Eine Atraktion aus zwei Gründen, die, um sie besser zu verstehen, man die Abläufe in südamerikanischen Cafés kennen muß: Es gibt zwei Bereiche, der eine, bei dem man an Tischen sitzt und von Kellnern bedient wird (für ältere Leute und Touristen) und der andere, bei dem man die Zeche erst am Kassenschalter bezahlt und sich dann an den Tresen stellt um seine Bestellung dort zu verzehren (für Einheimische und Profis). Und hier liegt bereits die erste Atraktion des "Florida" oder besser gesagt sie sitzt, und zwar am Kassenschalter, ist etwa 25 Jahre alt, langes braunes glänzendes Haar, Rehaugen, und ein Lächeln, das nicht von dieser Welt ist. Hat man hier ersteinmal etwas für´s Herz bekommen kommt danach etwas für die Seele: Die Cafébar des Florida ist etwa 8 oder 9 Meter lang, hinter der 8 Ober, alles ältere Herren, mit Pomade in den Haaren und alle im makellos weißen Sakkos mit schwarzer Fliege, so wie Ober halt aussehen sollten, ihren Dienst tun. Hinter dem Bereich, in dem sich die Ober bewegen stehen zwei fast mannshoche, kupferne Kaffeemaschinen der Marke "Rillo" und hinter ihnen das Herzstück des Cafés, der Kaffeekellner. Ein ebenso älterer Herr, gekleidet wie die Ober auch, aber ausschließlich für die Zubereitung der verschiedenen Kaffeespezialitäten zuständig, die er auf Zuruf der Kellner, ohne sich dabei Notizen zu machen, nachzufragen oder irgendeine andrere Regung von sich zu geben, stets korrekt und prompt erledigt. Ich habe ihn noch nicht ein einziges Mal lächeln gesehen oder reden gehört und sooft ich in diesem Café war habe ich noch nie erlebt, daß er eine Bestellung nicht oder falsch zubereitet hat. Er erledigt seine Arbeit mit einer Würde, wie sie sonst nur vom Papst, bei der Erteilung seines österlichen Segens "Urbi et Orbi" ausgeht. Ein Hochgenuß diesem Menschen zuzusehen!
Eine Neuerung hat sich jedoch seit meinem letzen Besuch vor etwa 3 Jahren eingeschlichen, denn der Grund meines Besuches hat Verstärkung bekommen. Ein zweiter Kaffeekellner bedient nun die zweite Maschine, wahrscheinlich ist er in der Einarbeitungsphase, bevor der Meister sich in den Ruhestand begibt. Leider hat der Kaffeenovize nicht halb soviel Würde und Gelassenheit wie das Original, aber schließlich ist er noch jung und hat sein halbes Leben dazu Zeit, es seinem Vorbild gleichzutun.
Bis es soweit ist, gilt es sich taktisch so zu positionieren, daß mein Kaffee immer noch vom Meister zubereitet wird. Wer will schließlich den Novizen, wenn man päpstlichen Segen haben kann?