Sonntag, 4. Februar 2007

Erinnerungen sind ewig

"Reisen heißt die Welt besitzen", war das Motto von Burton Holmes (1870-1958), einem amerikanischen Reisefotografen, der, als Reisen einigen Wenigen dieser Welt vorbehalten war, für diejenigen, die es sich nicht leisten konnten, die Welt in wundervollen Fotos dokumentierte, die er später, handkoloriert, einem staunenden Publikum auf Vorträgen, in riesigen Sälen vorführte. - Ich befinde mich an Bord des Lufthansa Jumbos, der mich von Buenos Aires nach Sao Paulo bringt und blättere in dem, sehr lesenswerten Lufthansa Bordbuch, der monatlich wechselnden Lektüre für unsere Gäste. Durch Zufall lese ich den Artikel über Burton Holmes, dessen Fotos erst unlängst von der Herausgeberin Genoa Caldwell "wiederentdeckt" und in einem Bildband veröffentlicht wurden. Er heißt so, wie Burton Holmes auch seine Vortrage nannte "Travelogues - Reiseberichte".
Der vermögende Amerikaner, so lese ich dort, tat Zeit seines Lebens nichts anderes als zu Reisen und zu Fotografieren. Er überquerte 30 Mal den Atlantik und 20 Mal den Pazifik, umrundete mehrmals die Erde, produzierte mehr als 30000 Bilder und verschoss dabei 152 Kilometer Film.
Wie ähnlich wir uns doch sind, dieser Mr. Holmes, von dessen Existenz ich gerade erst erfahren habe, und ich. Beide lieben wir das Reisen und das Fotografieren, beide haben wir es zu unserem Beruf gemacht, er das Fotografieren, ich das Reisen und beide haben wir Reiseberichte veröffentlicht, er einem Millionenpublikum und ich einigen wenigen Lesern meines kleinen Blogs. Anders als ich war Holmes jedoch ein Pionier, denn das Medium Fotografie war gerade erst erfunden und das Reisen deutlich aufwändiger und mit ungleich mehr Planung verbunden als es das heute ist. Alles was ich brauche passt in eine kleine Aktentasche und die ist, der Bequemlichkeit wegen, auch noch auf Rädern: Meine Kamera und mein Laptop, ab und zu eine Steckdose und eine Internetverbindung.
Hand luggage
Mit was für Material Holmes wohl unterwegs war? Alleine seine Kamera dürfte mehr gewogen haben als all mein Gepäck zusammen, anders als ich dürfte er jedoch auch Personal gehabt haben, die es für ihn trugen.
Auf dieser Reise habe ich 999 Fotos gemacht. 999 Mal habe ich das, was ich sah für so interessant und faszinierend gehalten, dass ich meine Kamera aus der Tasche geholt und auf den Auslöser gedrückt habe. Eigentlich hatte ich, bevor ich das Lufthansa Bordbuch zur Hand nahm, bereits überlegt, welches der Fotos zum endgültigen Verbleib auf meiner externen Festplatte gespeichert und welches gelöscht werden soll. Aber das war bevor ich diesen Satz von Holmes las: "Die einzigen Dinge, die mir gehören, die immer noch das wert sind, was sie mich einmal gekostet haben, sind meine Reiseerinnerungen."
Ich glaube der Grund warum Menschen Reiseandenken kaufen, ist der, später für sich selber einen Beweis zu haben, dass man wirklich da war, dass man wirklich erlebt hat, was man erlebt hat. Aber Andenken sind Gegenstände, sie können abhanden kommen oder kaputt gehen. Erinnerungen sind ewig.

Samstag, 3. Februar 2007

Der Kreis schließt sich

Nochmal 10 Stunden in einem der Luxusbusse, die das Land mit einem dichten Netzwerk überziehen. Ich nehme Platz auf dem Lederfauteuil und schlafe fast sofort ein. Als ich wieder aufwache kann ich bereits die Silhouette der argentinischen Hauptstadt am Horizont sehen. Der Kreis schließt sich, ich bin wieder dort, wo ich meine Reise vor fast genau einem Monat begonnen habe. Nur noch eine Nacht habe ich in Buenos Aires, bevor ich, nach einem Stopp in Sao Paulo, meinen Heimflug antreten werde.
Diesmal ist mein Zimmer sofort beziehbar und ich schlafe noch zwei Stündchen bevor ich ein letztes Mal im pulsierenden Leben der Metropole aufgehe.
Nochmal gehe ich meine Lieblingsplätze ab: das Café Florida, das Tortoni und schlendere durch das Viertel Palermo, versuche die Sonne und die Wärme in mir zu speichern, trinke noch einen letzen Kaffee in einem der schicken Lokale an der Straße.
Vorgestern habe ich auf der Internetpräsenz des Nachrichtensenders ntv einen Artikel über die teuersten und billigsten Städte dieser Welt gelesen. Demnach ist es nirgendwo preiswerter einen Wochenendtrip zu verleben als in Buenos Aires (der Flugpreis war bei dieser Statistik ausgenommen). Eine der teuersten Städte für dieses Vergnügen war zu meiner großen Überraschung München (Platz 5).
Es wird schon Abend als ich mich auf den Weg zurück in mein Hotel mache. Ein letztes Mal überschreite ich die "Avenida 9 de Julio", der mit 14 Spuren breiteste Boulevard der Welt, in dessen Zentrum ein riesiger Obelisk mahnend seinen Finger in den Himmel streckt. Neben der Türmchenarchitektur der alten Wohnhäuser der Oberklasse und der wellblechverkleideten Armensiedliung "La Boca", eines der Wahrzeichen von Buenos Aires.
Avenida 9 de Julio
Noch einmal Abendessen im "Filo". Diesmal erinnere ich mich an einen Trick, den mir mein Onkel Georg aus Chicago vor vielen Jahren einmal verraten hat. Wer eine wirklich aufmerksame Bedienung will, sollte das (großzügig bemessene) Trinkgeld bereits geben, bevor man die Bestellung aufgibt. Ich gebe meiner Bedienung also einen Betrag, der etwa 25% der Rechnungssumme ausmachen wird, als ich ihr meine Bestellung nenne und werde ich fortan von Bedienungen umschwirrt, wie Licht von Motten.
Auf meinem Heimweg genieße ich nochmal den warmen Abend, schaue den Nachtschwärmern zu, wie sie die Lokale verlassen um sich in andere Vergnügungen zu stürzen.
Getting night
Ich hätte noch länger bleiben können, mit VISA und Mastercard kein Problem, wenn sich nur nicht die Höhe meines Kontostandes und meine Anwesenheit in Deutschland gegenseitig bedingen würden. Und trotzdem: ich freue mich auf Zuhause, ich freue mich auf meine Wohnung, wieder in (m)einer Sprache sprechen zu können, ohne missverstanden zu werden, auf meine Familie und Freunde, auf meine Routine. In Deutschland bin ich zu Hause.

Donnerstag, 1. Februar 2007

Das Geisterhaus

Mein letzter Tag in Cordoba und meine letzte Wanderung dieser Reise. Sie soll mich in den Ort La Falda führen, der besonders für seine Vergangenheit bekannt ist, denn hier stand einst das beste Hotel des Landes, das "Eden Hotel". Heute werden Führungen durch die einstige Luxusherberge angeboten, für mich Grund genug mich nochmals in die Sierra Pampina zu begeben und den kleinen Ausflug mit einer letzten Wanderung zu verbinden.
La Falda ist ein Luftkurort und beherbergt heute viele Gäste, was die große Anzahl der kleineren und größeren Hotels belegt. Das war nicht immer so. In den 20er bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein war es den Reichen und Berühmten dieser Welt vorbehalten sich hier zu erholen.
Anfangs des 20. Jahrhunderts kauften die Brüder Eichhorn aus Deutschland billig Grund von einem Großgrundbesitzer der Region. Ihr ehrgeiziges Projekt war es, ein Hotel der Luxusklasse zu bauen, um, des guten Klimas wegen, vor allem zahlungskräftige Lungenkranke aus aller Welt anzuziehen, die sich hier kurieren sollten.
Bei der Ausführung des Baus wurde an nichts gespart. Die feinsten Hölzer für das Intarsienparkett, Carara Marmor und Bodenfliesen aus Italien, englischer Rasen für den hauseigenen Tennisplatz. Um ihre Gäste mit elektrischem Strom zu versorgen, damals in der argentinischen Provinz ein absolutes Novum, wurden aus Deutschland Generatoren importiert, mit denen ein kleines, hoteleigenes Kraftwerk betrieben wurde.
Bevor meine Führung beginnt habe ich noch etwa 20 Minuten Zeit, die ich, sagt mir die Dame am Eingang, wenn ich möchte, in "Museum" verbringen könnte. Museum? Das ist nichts weiter als eine Abstellkammer, mit dem Gerümpel, das nach der Aufgabe des Hotels übrig geblieben ist. Zu den Exponaten zählt ein Flügeltorso, der ohne Beine, Saiten und auch ohne Klaviatur, auf einer Seite an der Wand steht. Ein handgeschriebener Zettel, der mit Tesafilm darauf angebracht wurde, bittet darum, ihn nicht zu berühren.
Eden Hotel
Weiter hinten steht ein "orthopädische Bett" des Baujahres 1896, dessen Anblick mich bereits Rückenschmerzen bekommen lässt. Es folgt ein alter, hölzerner Kühlschrank, ohne Türen, die ehemalige Rufanlage, mit der die Gäste, mittels Knopfdruck in den Zimmern, kleine Glocken die an einer Holzwand im Servicebereich angebracht waren, erklingen lassen konnten, um das Hauspersonal in ihre Zimmer zu bestellen, sowie türlose Holzspinde der Hotelangestellten. Das Parkett ist unter dem Schmutz kaum noch zu erkennen, durch eine zerbrochene Fensterscheibe fliegt in regelmäßigen Abständen ein kleiner Vogel, um dann in einem Loch in der Decke zu verschwinden. Hierbei handelt es sich wohl um den jetzigen Bewohner.
Die Führung beginnt mit einer Videopräsentation, in der man in die Geschichte eingeführt wird und die, mittels alter Aufnahmen, die wohl von ehemaligen Gästen stammen, das Treiben der Bewohner zu damaliger Zeit dokumentiert. Zu Gast waren hier, so erfährt man, Albert Einstein, der Herzog von Savoyen, Ernesto "Che" Guevara, der Zeit seines Lebens an einer Lungenkrankheit litt, sowie unzählige Präsidenten, Schauspieler, Sänger und Adel aus aller Welt. Die Verweildauer der Gäste aus Europa betrug im Schnitt 3 Monate, sonst hätte sich die lange Seereise nach Buenos Aires und die anschließende, mehrtägige Eisenbahnfahrt von dort nach La Falda nicht gelohnt.
Die Führung beginnt mit den Bereichen des Hotels, die nur den Angestellten vorbehalten waren: Die Wäscherei, in der den ganzen Tag über per Hand die Hotelwäsche gewaschen wurde (Reinlichkeit war wichtig zu einer Zeit als es noch kein Penicillin gab und TBC als unheilbare Krankheit galt), die hauseigene Werkstatt für den Fuhrpark von Gästen und Hotel, sowie dem Kraftwerk, in dem immer noch die Generatoren mit ihren riesigen Schwungrädern zu sehen sind.
Als wir den Gästetrakt betreten, bevölkern in meiner Phantasie wieder die illustren Bewohner aus längst vergangenen Zeiten die Räumlichkeiten. Ich lasse den alten, bein- und saitenlosen Flügel wieder erklingen, sehe Bedienstete in schwarzem Livree und elegant gekleidete Damen in Abendkleidern die breite Treppe hinab schreiten.
Wir gehen an den ehemaligen Gästezimmern vorbei und können einen Blick in die Präsidentensuite werfen. In einer alten Badewanne liegt der Schmutz von Jahrzehnten, eines der Löwenfüsschen, auf denen sie stand ist bereits nicht mehr vorhanden. Ob in ihr wohl Albert Einstein entspannte und ihm neue Genialitäten einfielen, während er hier sein Bad nahm?
Eden Hotel
Der letzte Stopp der Führung ist das Kaminzimmer, einer der wenigen Räume, die in ihren alten Zustand zurückversetzt wurden. Hier hängen Kopien von den Kaufverträgen und Dankesschreiben der Gäste. Auch ein Schreiben von Adolf Hitler ist dabei, der dem "lieben Herrn Eichhorn" für die finanziellen Zuwendungen dankt, ohne die er wohl die Organisation (gemeint ist die NSDAP) nicht hätte aufrecht erhalten können und ihm zum Dank die goldene Ehrennadel überreicht. Er verabschiedet sich "mit deutschem Gruß".
Nach der Führung sitze ich noch ein wenig auf den Stufen des Eingangs und lasse die Stimmung auf mich wirken. Was hätte Einstein, überlege ich, wohl zu den ganzen Veränderungen der letzten Jahrzehnte gesagt, wenn er heute wieder auf die Welt käme. Hätte er Satelitennavigation, Mobiltelefone, Laptops, Digitalkameras und das Internet mit seinem genialen Geist verstehen können?