Sonntag, 20. Mai 2012

Finale dahoam

Es ist noch dunkel als ich ins Freie komme, aber immer noch warm. Es ist 4 Uhr 30 und in etwa einer Stunde geht die Sonne auf, sie kündigt sich bereits mit einem orangen Streifen am Horizont an.
Ich hole mein currygelbes Velotraum-Fahrrad, meinen treuen Begleiter seit vielen Jahren, aus der Garage, schalte das Licht ein und fahre in die Nacht. Als ich die erste Steigung herunterfahre lässt der Fahrtwind meine Augen tränen, die Luft ist feucht und riecht herrlich würzig nach Wiese.

Um vier Uhr morgens bin ich aufgewacht und hatte plötzlich Lust darauf, zu dieser ungewöhnlichen Zeit, zu der die Strassen verwaist sind und man ausser den erwachenden Vögeln nichts hört, mit dem Fahrrad zu fahren. Nach München müsste ich es bis zum Sonnenaufgang schaffen und könnte in den ersten wärmenden Strahlen durch die leeren Strassen radeln. Die Idee gefällt mir.
Tatsächlich treffe ich bis nach München hinein nur auf 2 Autos und einen weiteren Radfahrer, der aber aus der Stadt hinausfährt. Schon freue ich mich darauf, dass die Stadt nur mir alleine gehört.

 Velotraum

Als ich auf die Leopoldstrasse einbiege, traue ich meinen Augen nicht. Ein Heer von Taxis teilt sich die Strasse mit noch mehr Fahrzeugen der Strassenreinigung. Kleine Fahrzeuge fahren voraus und fegen den Müll mittels eines Wasserstrahls an den Rand, größere Wagen mit rotierenden Kehrbesen schlucken diese Überreste der Nacht und befördern sie in ihren orangen Bauch.

Gestern Abend war in München ein Fussballspiel, aber nicht irgendeins, sondern das Finale der Champions League, mit heimischer Beteiligung. Seit Wochen wird von nichts anderem mehr geredet.
Aus dem „Finale dahoam“ wurde das „Fiasko dahoam“, wie eine Sonntagszeitung titelt, die Bayern haben verloren. Ein Polizeisprecher sagte gestern im Radio, dass es wohl verhältnismässig ruhig bliebe, wenn Chelsea gewänne. Ich mag mir gar nicht ausmahlen, wie die Stadt im Falle eines Münchner Sieges jetzt aussehe.

Die Strasse, der Bürgersteig und auch der Radweg sind mit Müll und Scherben übersät. Ich muss mich konzentrieren um wenigstens nicht über größere Teile der kaputten Bierflaschen zu fahren. Allerorten liegt Erbrochenes in dem Tauben herumpicken und sich am Auswurf ihrer Wirte berauschen. Am Strassenrand stehen Betrunkene und versuchen eines der unzähligen Taxis heranzuwinken. Gar nicht so leicht, wenn Motorik und Artikulation versagen.
Ich sehe umgeknickte Verkehrsschilder, umgetretene Abfallbehälter und sogar große, geschmiedete Poller, die aus ihrer Verankerung gerissen und dann einfach liegen gelassen wurden, entweder aus Freude oder aus Frustration, auf jeden Fall aber im Suff. Auf dem Marienplatz sehe ich zwei junge Mädchen auf dem Heimweg. Eine hat ihre extrem hochhackigen Schuhe in der Hand und läuft Barfuß durch den Unrat und die Scherben.

Hinter dem Marienplatz wird es ruhiger und endlich habe ich die Strassen doch noch für mich alleine.