Mittwoch, 29. Juli 2009

Wie ein König

Der letzte Tag hat seine Spuren hinterlassen. Die Oberschenkel schmerzen und sind an den Innenseiten wund gescheuert. Reibung und Feuchtigkeit sind keine gute Kombiantion für die Haut. Nichts, was ein bisschen Babypuder, Mobilat und zwei Tag Ruhe nicht wieder hinkriegen können.
Noch am Morgen habe ich mich für kein Etappenziel entschieden. Ich möchte möglichst nah an Florenz kommen um meinen Bruder zu sehen, der übers Wochenende in der Stadt ist, habe aber keine Lust mir dort eine laute und überteuerte Unterkunft zu suchen.
Meine Wahl fällt auf Strada in Chianti, nur 10 Kilometer südlich von Florenz, aber dennoch ländlich und ruhig.
Ab jetzt geht es nur noch auf den Serpentinen der Monti del Chianti hoch und runter. Schweißtreibend aber ungemein reizvoll, an Olivenhainen und Weinbergen vorbei. Hier wachsen die Produkte, für die die Region in der ganzen Welt bekannt wurde.
Nach einer kurzen Etappe erreiche ich Strada. Bereites am Ortseingang werben verschiedene Unterkünfte um Gäste. Fast überall fallen mir die braunen Schilder auf, die den Weg in die Agriturismi weisen. Agriturismo ist sozusagen Urlaub auf dem Bauernhof, wobei der Vergleich stark hinkt, da es sich oft um hochherrschaftliche Häuser handelt, in denen eine Nacht schon einmal mehrere hundert Euro kosten kann.

Hotel in "Strada in Chianti"

Auch am Ortseingang von Strada sehe ich einen solchen Wegweiser und beschließe ihm zu folgen. Ich fahre nicht lange als mich ein Pfeil in eine gekieste Einfahrt unter uralten Bäumen lenkt, an deren Ende ein Schloß in einem üppigen Garten steht. "Das kann ich mir niemals leisten", ist mein erster Gedanke, und fast wäre ich wieder umgekehrt. Was soll's, wenn ich schon einmal hier bin, kann ich's mir auch anschauen.
Kaum habe ich mein Rad auf seinen Ständer gestellt, kommt mir auch schon eine ältere Dame entgegen und begrüßt mich. Ja, sagt sie, Zimmer wären noch frei und kosten 60 Euro. Eigentlich 10 Euro mehr, als ich mir vor dem Beginn meiner Reise als Tageslimit gesetzt habe, aber nachdem sie mich durch das Haus geführt hat, hätte ich auch locker das Doppelte bezahlt.
Im Vestibül steht ein Flügel und eine Harfe, alle Zimmer sind mit Fresken toskanischer Landschaften bemalt, ein Rittersaal dient als Speisezimmer für die Abendessen und in der jahrhunderte alten Küche wird das Frühstücksbuffet aufgebaut, das im Zimmerpreis enthalten ist.

Kitchen

Mein Zimmer ist zwar klein, aber ebenso geschmackvoll eingerichtet, wie der Rest des Hauses und wird von einem Himmelbett aus grünem Seidenbrokat dominiert. Eine Tür führt in einen, mit Kübelpflanzen begrünten, Innenhof, den ich ganz alleine nutzen kann. Schließlich liegt im terrassenförmig angelegten Garten, hinter dem Haus, ein Pool, dessen Wasser fast Badewannentemperatur hat.
Als ich meine Taschen ins Haus trage, wird mir ein Glas vom selbstgekelterten Chianti angeboten und ich fühle mich wie ein König!

Bis zum letzten Krümel

Italian street scene

Ein Blick nach Westen zeigt mir, was mich in den nächsten Tagen erwartet: es wird wieder bergig. Nur noch die ersten 8 Kilometer sind flach, dann erhebt sich das Gebirge, in dem ich in den nächsten Tagen unterwegs sein werde. Vor mir liegt Anhiari, wehrhaft und furchteinflößend, wie aus dem Berg gehauen, und dann beginnt der Aufstieg zum Passo de Scheggia. Manche der Autofahrer, die mir entgegenkommen feuern mich an, winken aus dem Fenster oder hupen. Ich fühle mich wie der Träger des gelben Trikots bei der Tour de France. So beschwerlich der Aufstieg, so lustvoll ist die Abfahrt. Fast 15 Minuten lang geht es mit 50 km/h und mehr bergab. Die Beine können jetzt ausruhen und die Arme müssen arbeiten, denn vor jeder Kurve muss ich mein Gefährt auf ca. 30 km/h abbremsen. Auf Hydraulikbremsen habe ich beim Kauf meines Rades bewußt verzichtet, damit ich im Notfall Reparaturen daran selber vornehmen kann, dafür muss ich jetzt mehr arbeiten.
Die Hitze hat nocheinmal zugelegt. 44°C zeigt ein Thermometer zur Mittagszeit an. Nach 87 Kilometern komme ich völlig erschöpft und ausgehungert in San Giovanni an. Ich will jetzt nur noch eine Dusche und etwas zu essen. Viel zu essen!
Das Lokal, das ich mir ausgesucht habe bietet moderne Küche und Portionen. Nicht das richtige für heute. Woanders werde ich fündig.
Die Bedienung muss zwei Mal nachfragen, als ich meine Bestellung aufgebe. Einen Salat, zwei Pastagerichte, eine Schinkenpizza und, zum Schluß, ein Eis.
Zugegeben die Pizza hätte es nicht mehr gebraucht, gegessen habe ich sie aber trotzdem - bis zum letzten Krümel.

Die Hitze ist da

Die Fahrt aus Perugia hinaus macht erstmal nur Spaß, weil es für etwa 6 Kilometer ständig bergab geht. 90 Kilo wiege ich zusammen mit meinem Rad und ensprechend schnell werde ich bei den Abfahrten. Noch ein Berg wartet auf mich, der mit 18% Steigung der steilste der gesamten Reise bleiben soll.
Nicht nur, dass ich mir mit einer Streckenlänge von 90 Kilometern eine ordentliche Vorgabe gemacht habe, es wird mit dem heutigen Tag auch brütend heiß. 38°C zeigt ein Thermometer in einem kleinen Ort an, den ich um etwa 15 Uhr durchfahre. Mehrmals muss ich meine Wasserflaschen neu befüllen, weil ich sie nicht nur als Getränk, sondern auch als portable Dusche verwende und mir ihren Inhalt von Zeit zu Zeit über den Kopf gieße.
Ziel des heutigen Tages ist das Städtchen Sansepolcro, nicht nur weil von dort die, von mir sehr geschätzten, Buittoni Nudeln kommen, sondern vor allem, weil mein Reiseführer eine Herberge mit Restaurant anpreist, die ich unbedingt ausprobieren möchte. Mein Bruder Horst hat sich außerdem für's Wochenende zu einem Kurzbesuch in Florenz angesagt, also muss ich mich langsam nach Norden orientieren.

Sansepolcro

Im Fiorentino werden nur frische Zutaten aus der Region verarbeitet, daher wechselt die Speisekarte fast täglich. Einen Gefrierschrank, so sagt der Wirt, wird es in seinem Lokal, solange er lebt, nicht geben.
Die Tochter des Hauses, eigentlich Architektin, Somiliére und mit einem Master-Abschluß in Touristik, hat ihre Karriere zu Gunsten des Familienbetriebes aufgegeben und zeichnet, unter anderem, für die Einrichtung der Gästezimmer verantwortlich, die mit Möbeln ausgestattet wurden, die sie auf dem Dachboden ihrer Eltern fand.

Da ich wußte, dass meine Reise bergig werden würde und ich daher großen Wert darauf gelegt habe, das Gewicht meines Gepäcks so gering wie möglich zu halten, muss ich jeden Abend nach Ankunft im Hotel erstmal meine Wäsche waschen, damit sie am nächsten Tag wieder trocken und einsatzbereit ist. Weil mein Waschmittelvorrat bereits zu Neige geht und Handwaschmittel in Italien schwer zu bekommen ist, habe ich bereits meinen Bruder per SMS gebeten mir Ersatz aus Deutschland mitzubringen.

Auf Grund der Hitze beschließe ich mir, für meinen Stadtspaziergang in Sansepolcro, ein paar neue Sandalen zu kaufen. Nicht allzu teuer und natürlich italienisch chique.
Sansepolcro ist ein hübsches Städtchen, von einer Stadtmauer komplett umfriedet und, seit dem Mittelalter, nur noch außerhalb dieser Veränderungen unterworfen. Mittelalterliche Städte gibt es hier genug, aber Sansepolcro spricht mich besonders an. Mir fällt auf dass es in noch so kleinen Ortschaften mindestens eine Bar gibt, in der man oft in netter Atmosphäre Kaffeespezialitäten und süße oder herzhafte Kleinigkeiten, oft sogar hausgemachtes Eis, zu sich nehmen kann. Außerdem verfügt jede Ortschaft über einen Optiker, der hauptsächlich Designersonnenbrillen feilbietet und ein Bekleidungsgeschäft, immer mit geschmackvoller Markenware im Schaufenster.
Für schöne Dinge gibt man gerne Geld aus.

Dienstag, 28. Juli 2009

All that jazz

12. Juli 2009

Street scene

Perugia ist eine der schönsten Hügelstädte Italiens, weiß mein Reiseführer. Grund genug für mich einen kurzen Abstecher von Castilione del Lago dorthin in Kauf zu nehmen. Die Fahrt ist zwar kurz aber wenig erbaulich. Wie alle großen Städte, umgibt auch Perugia ein Ring aus häßlichen Industrie- und Gewerbegebieten, die für reichlich Verkehr auf schlechten Straßen sorgen.
In Perugias Unterstadt tobt der Verkehr genauso und die Spurwechsel auf den, zum Teil vierspurigen Straßen, erfordern meinerseits äußerste Konzentration und Rücksichtnahme von Seiten der Autofahrer. So dicht der Verkehr in den Städten auch ist, auf der ganzen Reise werde ich nie von Autofahrern bedrängt, angehupt oder angepöbelt.
Als ich die Altstadt sehe verschlägt es mir fast die Sprache. Von wegen Hügelstadt! Wie ein Vogelnest klebt sie auf dem Gipfel eines veritablen Berges. Kurz überlege ich auf den Besuch der Altstadt zu pfeifen und einfach weiterzufahren, aber was ich von hier unten sehe ist einfach zu verlockend. So heißt es nochmal Zähne zusammenbeißen und in die Pedale treten.

Oben angekommen finde ich schnell ein Quartier. Die Wirtin bietet mir an mein Fahrrad mit auf mein winziges Zimmer zu nehmen. Ein Angebot, dass ich gerne annehme.
Erst als ich, frischgeduscht, einen Spaziergang durch das historische Zentrum unternehme, bemerke ich, dass gerade das bekannte Umbria Jazz Festival stattfindet. Chick Corea, George Benson, Simply Red und Paole Conte spielen, neben vielen anderen, in diesem Jahr hier.

An den zwei entgegengesetzten Enden der Altstadt sind zusätzlich zwei große Bühnen aufgebaut, auf denen von Nachmittag an, bis in den späten Abend hinein, kostenlose Konzerte stattfinden. So ist mein Programm für den Abend bereits fertig.
Jetzt nur noch schnell etwas zu essen suchen. So komme ich in das Ristorante von Franky Banana, der, so zeugen umrahmte Zeitungsausschnitte an der Wand, eine lokale Berühmtheit ist. Geboren wurde er in New York, als Kind italienischer Einwanderer, und verdiente in seinem früheren Leben als Profiboxer seinen Lebensunterhalt. Fotos an der Wand zeigen ihn, deutlich schlanker und jünger, mit diversen Größen des Geschäfts.
Wie es ihn nach Perugia verschlagen hat weiß ich nicht, seine Arbeit als Wirt scheint ihm jedoch Spaß zu machen. Nur wenn er ausländische Gäste bedient, verrät ihn noch sein brooklyner Akzent: "Do you want some coafee?"

Um den Lago di Trasimeno

11. Juli 2009

Stolz zeigt der Wirt auf einen Stein über der Tür, in den die Jahreszahl 1789 eingemeißelt wurde, als er mir mein Zimmmer zeigt. Zimmer ist untertrieben, denn in den nächsten 2 Tagen bewohne ich ein Apartment mit zwei Schlafzimmern, Küche, Bad und einem Wohnzimmer mit einem gewaltigen Kamin, das im Jahr der französischen Revolution erbaut wurde. Um gerade einmal 50 Euro wird meine Reisekasse am Tag für diese königliche Unterkunft erleichtert.
Hinter dem Haus liegt im Garten ein hübscher Swimmingpool, der mir nach den geleisteten Anstrengungen wie gerufen kommt.

Am nächten Tag mache ich mich auf, den Lago di Trasimeno zu umrunden. Etwa 70 Kilometer schlängelt sich die Straße zwischen Seeufer, Olivenhainen und Sonnenblumenfeldern entlang.
Gerade, als ich das Haus verlasse, läuft vor mir eine Eidechse über die Straße. Fast hätte ich sie überfahren. Aber für eine Eidechse bewegt sich das Tier eigentlich zu langsam. Ich halte das Fahrrad an und schaue genauer hin. Tätsächlich handelt es sich um einen, etwa 4 cm großen, Skorpion. Ich bin überrascht und fasziniert zugleich, so weit im Norden Italiens Skorpione zu finden.
Später sehe ich noch eine Schlange, mit hübscher schwarz-gelber Musterung, die gerade erst vor mir jemand überfahren haben muss und die nun leblos am Straßenrand liegt. Als ich am Abend in meinem Führer nachlese, lerne ich dass es sich dabei um eine Viper handelt, deren Biss zwar tödlich ist, dessen Gegengift jedoch in fast jeder Apotheke vorrätig ist.
Kurz darauf sehe ich dann einen kleinen Vogel, der bewegungslos auf der Straße sitzt. Gerade als ich umdrehen und ihn von der Fahrbahn nehmen will, wird er überfahren und ist somit bereits das zweite Verkehrsopfer des heutigen Tages.

Die Fahrt ist wirklich schön und nicht besonders anspruchsvoll. Es macht Spaß mal wieder ohne Gepäck unterwegs zu sein und nicht nur immer von anderen Radfahrern überholt zu werden. Immer wieder bieten sich neue Ausblicke auf den See mit den Bergen des Apennin am Horizont.

Lago di Trasimeno

Als ich in meine Unterkunft zurückkehre haben sich die Plätze um den Pool bereits gefüllt. Außer mir sind alle anderen Gäste italienische Familien, die auf sympathische Art den Lärmpegel nach oben treiben.

Der Wirt der Herberge hat ein Hobby, mit dem er offensichtlich auch jeden Abend seine Gäste erfreut. Mitten im Haupthaus steht eine Karaokeanlage, die es ermöglicht zu Playbackmusik zu singen. Wie alle Italiener singt er gerne und laut, in seinem Fall aber nicht besonders gut. Um ehrlich zu sein sind seine Sangeskünste schlecht, so grottenschlecht, dass ich mich entschließe am Abend mein Rad noch einmal zu besteigen und in den benachbarten Ort zu fahren, um dort mein Abendessen in Ruhe einzunehmen.

Nach Umbiren

10. Juli 2009

Am Abend erreiche ich völlig erschöpft San Quirico. Nur zehn Kilometer von hier liegt, laut meinem Reiseführer, eines der besten Agriturismo, Bauernhöfe, die auch Zimmer vermieten, des Landes, aber ich kann keinen Kilometer mehr fahren. Ich schleppe mich in die Touristeninformation des Ortes, lasse mir eine Liste der Herbergen geben und rufe bei der günstigsten an. Ich habe Erfolg und nur 15 Minuten später stehe ich vor der Albergo Garibaldi. Von außen nicht gerade das, was man ein ruhiges Plätzchen nennen würde. Das "Garibaldi" ist eigentlich eine Tankstelle an einer Schnellstraße, mit angeschloßener Pizzeria, die auch ein paar Zimmer vermietet. Das Zimmer, das ich dann aber dort beziehe ist wunderschön, liegt auf der Rückseite des Gebäudes und hat einen atemberaubenden Ausblick auf ein Tal mit sanften Hügeln.

View from my hotel room

Der nächste Tag beginnt, wie der letzte aufgehört hat: es geht stetig und steil bergauf. Ich krieche mit 7 Stundenkilometern bergauf und werde sogar von einem Schmetterling überholt. Wütend rufe ich ihm hinterher, dass er sich sein dummes Grinsen aus dem Gesicht wischen soll, sonst tue ich es, wenn ich ihn kriege. Ist doch wahr, was glaubt der denn?

Der Höhepunkt der heutigen Strecke ist das Städtchen Montepulciano, die Heimat des weltberühmten Vino Nobile. Schon von weitem kann man es hoch oben auf einem Berg trohnen sehen. Das verspricht weitere Leiden. Belohnt wird man dann allerdings von dem Ausblick, den man von dort in alle Himmelsrichtungen hat. Von hier kann ich bereits mein Etappenziel des heutigen Tages in der Ferne sehen: den Lago di Trasimeno, der bereits im benachbarten Umbrien, in etwa 50 Kilometer Luftlinie, liegt.
Für's erste scheinen auch die Berge vorbei zu sein, denn bis zum See erstreckt sich eine Ebene, die gutes Vorankommen für den Rest des Tages verspricht.

Samstag, 25. Juli 2009

Auf und Ab

08./09. Juli 2009

Es ist ein stetes auf und ab. Da die Abfahrten naturgemäß, mit einer Geschwindigkeit von fast 60 km/h, deutlich schneller vorbei sind, als es dauert, die Steigungen zu bewältigen, geht es gefühlt zu 90% bergauf. Dennoch sind die Hügel sanft und durch den okkerfarbenen, reifen Weizen, ganz in Gold getaucht. Allerorten werden den Hügeln gerade ihre blonden Mähnen, mit großen Maschinen rasiert. Man kann die Hitze nicht nur spühren, sondern auch riechen. Der Duft von frisch gemähtem Stroh an einem heißen Sommertag: der Geruch des Hochsommers.
Die Landschaft sieht, mit ihren sanften Wellen, aus als wäre ein goldfarbenes, wogendes Meer auf einmal erstarrt.

Landscape

Die Orte, durch die ich fahre, scheinen sich seit hunderten von Jahren nicht verändert zu haben. Die Kirchen bilden, mit ihren zum Teil gewaltigen Türmen, den Mittelpunkt, drumherum schmiegen sich Häuser aus Naturstein aneinander und ducken sich in die Landschaft hinein.
Erfreulicher Weise ist kaum Verkehr auf den kleinen Straßen und so kann ich entspannt fahren, während ich die sich stetig ändernde Landschaft genieße. Alleine in Siena aus dem Labyrinth der verwinkelten Straßen der Altstadt heraus- und dann auch noch die richtige Ausfallstraße zu finden, kostet mich eine Stunde und 20 Kilometer Umweg.

In Asciano beziehe ich mein erstes Quartier. Bei der telefonischen Reservierung komme ich mit meinem ungenügenden Italienisch schnell an meine Grenzen. Als ich einfreffe, stelle ich fest, dass ich Glück gehabt habe. Der Besitzer der hübschen Herberge ist Radsportfan und gibt mir, als er sieht, dass ich mit dem Rad unterwegs bin, einen ordentlichen Nachlass auf den Zimmerpreis und läßt mich mein Fahrrad in seiner privaten Garage unterstellen.

Das Ende der Etappe des nächsten Tages ist in San Quirico geplant, mit einem Abstechen in das mittelalterliche Montalcino, Heimat des weltberühmten Brunellos und Welthauptstadt der Trüffel. Letztere dürfen nur mit Hunden aufgespührt werden und um auf die Suche nach dem Edelpilz zu gehen, bedarf es einer Lizenz, ähnlich eines Jagdtscheins.
Die Fahrt nach Montalcino ist beschwerlich, über 6 Kilometer schlängelt sich die Straße den Berg hinauf, auf dem das Städtchen liegt. Als ich oben ankomme bin ich schweißgebadet und habe meine beiden Wasserflaschen, die ich mit mir führe, bereits geleert.
In fast jeden Ort, durch den ich komme, halte ich an einer Bar, genehmige mir einen Cappuchino und esse eine Kleinigkeit, mal ein Cornetto, mal ein Stück Pizza und mal ein Eis.
Rund 2000 Kalorien verbrauche ich zusätzlich am Tag und so läßt es sich mit gutem Gewissen schlemmen. Abends gehe ich nicht unter drei Gängen aus dem Lokal, um meinen Energiespeicher für den nächsten Tag zu füllen.

Angekommen

07. Juli 2009

Arrived

Der Himmel färbt sich schwarz und kündigt an, was längst keine Überraschung in diesem Sommer mehr ist: gleich wird es regnen. Drei Minuten später schüttet es. Meinen Plan mit dem Fahrrad die Alpen zu überqueren und nach Venedig zu fahren musste ich aufgeben. Statt dessen habe ich mich entschlossen, dem Rat eines Freundes zu folgen, mein Rad in den Zug nach Siena zu laden um von dort eine Rundreise in die sommerliche Toskana zu unternehmen. Ich freue mich darauf Italien einmal, im wahrsten Sinne des Wortes, ganz anders zu erfahren und zu erleben.

Mein Zug verläßt München um 21:00 Uhr. Das Liegewagenabteil teile ich mir zunächst mit Jordan, einem 21-jährigen Amerikaner, der der Liebe wegen und weil es wegen der Finanzkrise in Californien keine Sommerjobs für Studenten gab, nach München gekommen ist. Er studiert, so erzählt er mir, Umwelttechink und möchte nach seinem Abschluß in Deutschland leben. Erstaunt erzähle ich ihm, dass ich Auswanderungsbestrebungen eingentlich nur in die andere Richtung kenne. - "The grass is always greener on the other side"
Der Zugchef kommt in unser Abteil und begrüßt uns und lässt sich Tickets und Pässe aushändigen, damit er uns beim Grenzübertritt nicht wecken muss. Dann verspricht er uns etwa eine halbe Stunde vor Ankunft in Florenz, wo wir umsteigen müssen, zu wecken. Bald schlafe ich tief und fest.
Gegen 6:00 Uhr früh weckt mich Jordan: "We are in Florence!". Panisch greife ich nach meinem Gepäck. Wir müssen noch den Schaffner suchen um unsere Pässe wiederzubekommen und außerdem muss ich auch noch mein Fahrrad aus dem Gepäckabteil holen.
Dem Schaffner ist das Mißgeschick sichtbar peinlich, er entschuldigt sich mehrmals und informiert uns, dass wir noch mindestens 15 Minuten Zeit haben um den Zug zu verlassen.
Ich wuche mein mit Gepäck beladenes Rad, alles in allem etwa 30 Kilo schwer, treppauf und -ab zu meinem Anschlußgleis, auf dem der Regionalzug wartet. Da dieser kein Fahradabteil hat, läd mich der Schaffner ein, die Fahrt mit meinem Rad im Lokführerstand zu verbringen, der im Vorraum genügend Platz bietet. Er selbst setzt sich während der Fahrt neben den Lokführer, raucht und plaudert, während draußen die Toskana an mir vorbeifährt. Weder ich noch ein anderer Reisender werden nach ihrer Fahrkarte gefragt.

Siena, Tuscany, Italy

Als ich in Siena ankomme ist es 8:30 Uhr, die Stadt erwacht gerade, die Menschen sind auf ihrem Weg zur Arbeit. Direkt vom Bahnhof aus loszufahren habe ich keine Lust und außerdem hatte ich in Florenz nicht die Zeit meinen ersten italienischen Cappuchino zu trinken. Das möchte ich jetzt nachholen, aber nicht irgendwo, sondern in einem Straßencafé an der Piazza del Campo mit Blick auf das Wahrzeichen der Stadt, dem Palazzo Comunale.
Mein, mit orangen Gepäcktaschen, vollbeladenes Rad, dass ich direkt neben dem Café angeschloßen habe, zieht gleich die Blicke von Passanten und Touristen auf sich. Hier möchte ich meine erste Etappe planen, während ich Müllmännern mit gegellten Haaren und Designersonnenbrillen dabei zuschaue, wie sie den Abfall des Vortages abholen. Erst jetzt bin ich wirklich angekommen!

Zufällig befindet sich die Touristeninformation der Stadt direkt neben dem Café, in dem ich sitzte und dort hilft man mir freundlich und zuvorkommend bei meiner Planung. Empfohlen wird mir eine Fahrt durch "Le Crete", südöstlich von Siena gelegen, deren sanft hügelige, mit Weizenfeldern und Zypressen bewachsenen und mit Einsiedlerhöfen besiedellte Landschaft, das Toskanabild weltweit prägte.
"Der Höhepunkt gleich zu Anfang?", denke ich bei mir. "Warum nicht!" und so schwinge ich mich in den Sattel meine Rades und nehme Italien unter meine Räder.