Sonntag, 13. Januar 2008

Ausflug mit Anneliese

Der Nebelwald macht seinem Namen alle Ehre. Dicke Nebelschwaden wabern um die Gipfel seiner Bäume. Unser Fahrer Victor lässt uns aussteigen, damit wir die Gelegenheit haben den Wald zu riechen und zu hören. Die Gerüche sind denen des deutschen Waldes nach einem Sommerregen nicht unähnlich, nur die Geräusche erinnern nicht an zu Hause. Dieser Wald beherbergt Pumas, verschiedene Affenarten und exotische Vögel. Die Geräuschkulisse ist eine Kakophonie ihrer Lebensäußerungen.
Vielleicht 20 Kilometer sind wir von Salta aus gefahren, bis wir zu diesem Urwald in den Bergen gekommen sind, durch kleine Dörfer hindurch in denen die Menschen hauptsächlich von Landwirtschaft leben. Tabakpflanzen bestimmen die Anbauflächen.
Der Wechsel von Kulturlandschaft zu Urwald ist abrupt und unerwartet und es soll nicht die einzige Überraschung des heutigen Tages bleiben, aber davon ahne ich noch nichts.

Beim ersten Stopp des Tages spricht mich eine ältere Frau an (ich kenne ihren Namen nicht und nenne sie der Einfachheit halber mal Anneliese, denn das passt zu ihr), möchte wissen wo ich herkomme und es stellt sich heraus, dass wir Landsleute sind. Sie erzählt mir gleich, dass sie kein Spanisch spricht und deshalb den Erklärungen unseres Fahrers nicht folgen kann. Aber schließlich hat sie heute Nacht, als sie nicht schlafen konnte (sie leidet nämlich an furchtbaren Schlafstörungen) "das Buch" gelesen. Diese Tour hat auch Nino Rossi gemacht (wer?) und als sie das im Fernsehen gesehen hat, hat sie zu ihrer Familie gesagt: "Da muss isch hin, da könnter mache watter wollt. Nino Rossi - auf RTL". "Ach ja, der", lüge ich. Anneliese ist Rheinländerin - das kann ja heiter werden.
Bei einem Blick auf meine Kamera fällt ihr ein, dass sie auch auch eine dieser Digitalkameras hat, aber die hat jetzt ihre Tochter und sie hat nur so eine kleine Knipse dabei. Einen Film hat sie schon entwickeln lassen und ist nicht zufrieden. Anneliese ist der Typ Mensch, der überhaupt nie zufrieden ist. Na wenigstens hat sie jetzt wieder ein Gesprächsthema für ihren nächsten Friseurbesuch.

Gestern nach meiner Ankunft habe ich noch schnell eine Exkursion für den Sonntag gebucht. Meine Wahl fiel auf einen Ausflug nach Cachi, denn ich erinnerte mich in meinem Reiseführer gelesen zu haben, dass die Fahrt dorthin besonders spektakulär sei. In der Agentur sagt man mir, dass auf diesem Ausflug mit guten Wetter zu rechnen ist, da man sich auf etwa 3500 Metern Höhe bereits über den Wolken befindet.

Unsere Fahrt, bislang noch auf asphaltierten Straßen, führt uns immer höher in die Berge hinein, immer entlang eines breiten, braunen, reißenden Flusses.
Nun werden aus den geteerten Straßen Schotterwege, so eng, dass keine zwei Autos nebeneinander sie befahren können.
Genau so abrupt wie der Nebelwald aufgetaucht ist, macht er nun einer Steppenlandschaft Platz. Vereinzelt stehen riesige Baumkakteen im Grasland. Am Horizont zeichnet sich eine Bergkette ab, die so aussieht, als wäre sie gerade erst frisch in verschiedenen Rot, Grün und Ockertönen gestrichen worden.
Province Salta, Argentina
Die Straßen werden schlechter und steiler. Ab und zu liegen große Felsbrocken auf der Fahrbahn und wir fahren jetzt direkt in den Wolken. Die Sicht beträgt keine 20 Meter. Auf dem Weg überholen wir zwei Gruppen von Mountainbikern und ich beneide sie ein bisschen um dieses Erlebnis, wahrscheinlich beneiden sie uns um unseren warmen und komfortabelen Platz in unserem Gefährt.
Nach weiteren 20 Kilometern erreichen wir den Gipfel und befinden uns nun am höchsten Punkt der Exkursion. Leider sind wir noch immer nicht durch die Wolkendecke gestoßen. Man sieht kaum die Hand vor den Augen.
Beim Aussteigen entfährt Anneliese ein "shit". Das hat bei Nino Rossi wohl irgendwie anders ausgesehen. Außer mir und Anneliese sind noch zwei weitere deutschsprachige Touristinnen, zwei junge Frauen aus Deutschland und der Schweiz, mit an Bord. Mein Plan ist es Anneliese an die beiden abzugeben und ich glaube er geht auf. Anneliese hat bereits Witterung aufgenommen und einen ersten Kontakt hergestellt.
"Los Cardones" National Park
Die Fahrt geht nun in eine Hochebene hinein und erneut ändert sich die Vegetation schlagartig als wir in den Nationalpark "Los Cardones" einfahren. Eine Fläche von gut und gerne 20 Kilometern Ausdehnung liegt vor uns. Trockenes Wüstenland und darauf stehen tausende der großen Baumkakteen, die wir schon zuvor vereinzelt gesehen haben, wie von Menschenhand als Kulisse für einen Western dort hingestellt. Manche dieser Kakteen sind 6 Meter hoch, einige mit Armen, andere wie Säulen. Nur 1 - 2 Zentimeter wachsen sie im Jahr und jede von ihnen speichert zwischen 30 und 40 Litern Wasser für die Trockenzeit. Bei der Größe müssen schon einige von ihnen hier gestanden haben, bevor die Spanier das Land in Besitz genommen haben.

Während ich ein paar Fotos mache, komme ich mit den beiden anderen deutschsprachingen Mitreisenden ins Gespräch. Es tut mir fast leid, dass sie Anneliese von mir geerbt haben, denn sie sind sehr lustig.
Beide sind für 8 Monate in Argentinien und leisten in Buenos Aires ein Praktikum ab, eine ist Lehramtsstudentin, die andere Kommunikationswissenschaftlerin. Sie berichten von ihren Plänen nach Bolivien weiterzureisen und erzählen mir Erlebnisse ihres Aufenthalts. Eine Geschichte bringt mich besonders zum Lachen: Eine Geisterbahn, die sie in einem Vergnügungspark in Buenos Aires besucht haben, in der es nur einen einzigen "Geist" gab, ein verkleideter Mann, mit einer Papiertüte über dem Kopf, der aus einer künstlichen Höhle gerannt kam, einmal schrie und wieder in seiner Höhle verschwand. Ende des Spuks.
Cachi, Argentina
Gegen Mittag kommen wir in Cachi an. Ein hübscher kleiner, abgeschiedener Ort, der noch so aussieht, wie vor 250 Jahren, als er erbaut wurde. Die Wolken sind fast verschwunden und der Himmel zeigt sich in seinem schönsten Blau. Das Mittagessen nehmen wir in einem winzigen Lokal ein, in dem bereits ein Lamm auf dem Grill liegt. Der Wirt begrüßt uns herzlich und stellt in Aussicht nicht zahlen zu müssen, wenn uns sein Essen nicht schmeckt.
Anneliese ist bereits im Inneren verschwunden, also beziehen wir einen Tisch im Freien. Es dauert freilich keine 5 Minuten und Anneliese kommt zu uns an den Tisch. Drinnen ist es ihr zu kalt. Wir haben alle keinen großen Hunger und bestellen nur eine Kleinigkeit. Anneliese hat auch keinen Hunger und bestellt sich erstmal eine Riesenportion Lamm. Natürlich schmeckt das Lamm nicht (zu trocken) und der Wirt bietet sofort an ihr ein besseres Stück zu servieren. In der Zwischenzeit fallen Anneliese diverse Unannehmlichkeiten ein, die sie uns bereitwillig mitteilt (deutsches Fernsehprogramm: zu schlecht, GEZ: bezahlt sie nicht, der Russe kauft alles in Karlsbad auf, alles nur Verbrecher, etc.). Als das Gespräch auf unsere Flüge fällt, weiß Anneliese zu berichten, dass sie das letzte Mal mit Lufthansa geflogen ist. Viel zu eng für ihre langen Beine (Anneliese ist vielleicht 165 cm groß) und für so einen langen Flug müsse man ihr doch mehr Platz bieten. Die beiden Mädchen schauen mich an, denn sie wissen, dass ich bei Lufthansa arbeite.
Ich erkläre Anneliese, dass es durchaus Sitze mit deutlich mehr Platz in unserer Business und First Class gäbe, dass diese nur ein wenig teurer wären.
Den Rest der Mahlzeit nimmt Anneliese schweigend zu sich, denn sie ist erzürnt, dass wir ihre Meinung nicht ausreichend würdigen.

5 Kommentare:

renovatio hat gesagt…

Ja, was muss ich da lesen: Du kennst Nino Rossi nicht?! OK, zugegeben - ich auch nicht. Und RTL2 ist für mich kein Fernsehprogramm, sondern Lärm- und Bildverschmutzung unseres TV-Daseins. Eine Konsumentin dieses Fernseh-Sondermülls und dann auch noch rheinische "Frohnatur" - ich bewundere Deinen Gleichmut. Ich glaube, ich hätte Anneliese weniger den beiden scheinbar netten deutschen Zeitgenossinnen überlassen, als denn eher den Pumas...
Sportlicher Gedanke, sich mit Mountainbikes auf solche Höhen - in vermutlich reichlich variierenden Witterungsbedingungen - vorzuwagen, nicht schlecht. Aber Du bist ja fit wie ein Turnschuh, wie es so schön heißt - hättest das sicher gepackt. Allerdings nicht mit Anneliese im Schlepptau, denn der wären nach 50 Höhenmetern die Berge zu hoch, der Nebel zu dicht, die Argentinier zu spanisch und die Luft zu trocken, dann zu feucht, schließlich zu dünn geworden (vielleicht hätte es nur gegolten, das "auszusitzen"...?)
Ein Glück, dass Du sie auf der Weiterreise hoffentlich abschütteln kannst. Zeitgenossen dieser Art lassen einen auch wieder das schöne Ritual der Menschenopfer herbeiwünschen.
Ob Herr Rossi sich dann als ihr edler Retter erwiesen hätte...?
Schöne Bilder...

ralfg hat gesagt…

Frag doch mal dezent nach, ob Anneliese eventuell Nini Rosso gemeint haben könnte. Das wäre ein italienischer Star-Trompeter aus den 60er Jahren gewesen. Berühmt durch seinen Hit Ilse Lenzio, das widerum ist die Schwester von Ilse Werner.

http://de.wikipedia.org/wiki/Nini_Rosso

Ein dreifach doppeltes GUTE: REISE

ralf g aus t

renovatio hat gesagt…

Danke für die Nachhilfe, Ralf! Nino Rosso ist für mich damit mehr als rehabilitiert - ja was red ich: Er ist mein Star!
Als seine Eltern für ihn eine Akademikerlaufbahn vorsahen und sich gegen seine Trompeterkarriere stellten, riss er mit 19, damals noch nicht volljährig, von zuhause aus. Right on, Nino! Zu schade nur, dass ihn seine Karriere auch in die Ohren der tumben Anneliese geführt hat, der das Lamm im argentinischen Hochland zu trocken und die Trauben italienischer Weinhänge vermutlich zu sauer sind. Nur Ninos Trompete hat sie wohl gelten lassen.

Wieder was gelernt!
w aus k (bzw. jetzt aus w, also w aus w. ;-))

Wolfram hat gesagt…

Na ehrlich gesagt weiss ich auch nicht so recht, wer dieser ominöse Herr Rossi sein soll. Wenn der Startrompeter und jugendliche Ausreißer seinen Weg nach Cachi gefunden hat dann Hut ab.
Gesagt hat sie jedenfalls Nino Rossi, ich hab's nämlich gleich aufgeschrieben, damit ich ihn später mal googlen kann.
Neue Geschichte gib's erst morgen wieder, bin heute zu platt um auch noch eine weitere Zeile zu Papier zu bringen. Ich sage nur "höhenkrank".

ralfg hat gesagt…

...ist Anneliese jetzt eigentlich weg und wir werden nie mehr erfahren, wen sie denn wirklich gemeint haben könnte? Oh, Mann! Sucht diese Frau.