Sonntag, 13. Januar 2008

Menschenopfer

Die Taube in der Hand...
Das erste, auf das mein Blick fällt, als sich die Tür des Busses öffnet, der mich an meinem Hotel in Salta absetzt, sind Kokablätter, die in der Gosse liegen. Jemand hat sie wohl fallen und liegen lassen. Ich habe in einem meiner Reiseführer davon gelesen, dass Kokablätter, obwohl sowohl Verkauf als auch Besitz verboten, hier überall erhältlich sind.
Eine der Reiseagenturen, die Ausflüge in die Umgebung anbieten, empfiehlt sogar vor einer bestimmten Tour, die auf nahezu 4700 Meter führt einen Kokatee zu trinken oder die Blätter zu kauen. Koka ist seit Urzeiten, und lange bevor ihr Derivat Kokain zur Modedroge wurde, das Medikament aus der Natur, mit dem die einheimische Bevölkerung der Höhenkrankheit vorbeugt.

Als ich heute morgen die Halle des Inlandflughafens Aeroparque in Buenos Aires betrete, ist mir sofort klar: meinen Flug werde ich verpassen! Zwar bin ich gute 2 Stunden vor Abflug dort um einzuchecken, aber die Menge an Menschen ist so groß, dass man keine Stecknadel mehr fallen lassen könnte. Ungläubig frage ich nach, ob es sich bei dem chaotischen Drucheinander um die "Schlange" für den Check-in für Aerolineas Argentinas handelt und die Gestallt, die dafür zuständig wäre, Struktur in das Chaos zu bringen nickt nur resignierend.
So versuche ich einen Platz in der Menge zu erkämpfen, der nach so etwas wie das Ende einer Warteschlange aussieht. Nach einer Stunde bin ich etwa 7 Meter näher an den Check-in Schalter vorgedrungen. Es fehlen noch 15 Meter.
Ein solches Durcheinander, einen solch komplett fehlenden Willen sich diszipliniert zu verhalten, eine solches Chaos habe ich noch nicht einmal in Nigeria, Ghana oder der Elfenbeinküste erlebt.
15 Minuten vor dem planmäßigen Abflug lasse ich meine beiden Koffer im Gewühl stehen und gehe vor zum Schalter, nur um darauf aufmerksam zu machen, das ich meinen Flug verpassen werde, wenn nicht irgendein Wunder geschieht. "Andere sind auch in ihrer Situation", erklärt mir der Mann am Schalter genervt. Noch eine ähnlich dumme Bemerkung und Du sollst mich kennenlernen, Freundchen, denke ich mir. "Ich werde aber meinen Flug verpassen", wende ich nochmals ein. Und erst als er mir versichert, dass ich meinen Flug noch erreiche, kehre ich auf meinen Platz zurück.
Etwa 5 Minuten vor Abflug geht nun eine Angestellte der Fluggesellschaft durch die Menge und versucht die Passagiere nach Salta herauszufischen, um sie am First Class Schalter einzuchecken.
Zehn Minuten später sitzte ich endlich, völlig genervt, auf meinem Platz!

Es ist bewölkt in Salta und mit 20°C recht kühl. Später fängt es an zu regnen. Die Stadt und ihre Umgebung erinnern mich stark an Kolumbien. Fast alle Einwohner haben die indigenen Gesichtszüge und die braune Haut ihrer Vorfahren. Hier ist Inca-Land!
Ich suche eine Agentur für Exkursionen in die Berge und buche für Sonntag einen Ausflug nach Cachi. Mein Reiseführer beschreibt die Strecke als eine atemberaubend schöne Passstraße, immerzu an steilen Abhängen entlang.

Der Abend bietet sich für einen Besuch des Archäologischen Museums der Hochanden an. Ein neues Museum in einem Kolonialbau, dessen Prunkstücke drei 500 Jahre alte Inca Mumien, zwei Kinder von 8 und 10, sowie eine junge Frau von 15 Jahren, sind, die erst im Jahr 1999 von einer Expedition in 6700 Metern Höhe gefunden wurden.
Im Museum läuft ein Film über die Ausgrabungen in dem man Wissenschaftler mit dicken Daunenanzügen auf dem vom Wind gepeitschten Vulkan bei ihrer Arbeit beobachten kann.
Der Fund gilt als Sensation, denn ab 6000 Metern beginnt die sogenannte Todeszone, in der Menschen ohne Sauerstoffgabe nach kürzester Zeit der Höhenkrankheit zum Opfer fallen. Warum man die drei Leichen hier bestattet hat und wie die Menschen es geschafft haben dabei den Gefahren zu trotzen, bleibt bislang noch ihr Geheimniss.
In dem oben erwähnten Film wird die Bergung der Mumien gezeigt und man ist Zeuge, wie die Stofflagen, in die sie gehüllt waren entfernt werden. Zum Vorschein kommt das Kindergesicht eines kleinen Mädchens, dass noch so gut erhalten ist, dass man meinen könnte es würde nur schlafen.
Die besterhaltene Mumie ist diejenige der jungen Frau, von der man vermutet, sie könnte eine "Jungfrau der Sonne" sein, also eine der legendären Menschenopfer der Inca, um den Sonnengott gnädig zu stimmen. Die Haare sind zu Rastazöpfen geflochten, ihre Füße stecken noch in Pantoffeln, die Beine verschrenkt trägt sie immer noch die Kleidung, in der man sie beigesetzt hat. Der Kopf ist nach vorne geneigt und das Gesicht ein wenig verformt. Die dunkle Haut sieht fast wachsartig aus. Ich frage nach, ob es sich hierbei wirklich um die Mumie und nicht um eine Kopie handelt und mir wird bestätigt, dass es das Original ist.
Nochmal schaue ich in den Kasten, wo sie in einem gläsernen, klimatisierten Zylinder sitzt und blicke in das Gesicht eines Menschen, der vor 500 Jahren gelebt hat.

2 Kommentare:

renovatio hat gesagt…

Ein Glück für den Herrn am Schalter, dass Menschenopfer heute nicht mehr üblich sind - sonst hätte der für mich schonmal eine bevorzugte Platzierung, wenn's darum geht, jemanden für die Opfergabe auszuwählen - unglaublich! Am meisten würde mich in solchen Situation nerven, dass die Gestalten, die dafür bezahlt werden, hier ein bißchen Ordnung zu schaffen, einem dann auch noch pampig kommen.

Gut, dass Du Dir daraufhin den Spaß an der Weiterreise nicht hast verderben lassen. Und schon ein bißchen spooky, einer 500 Jahre alten Leiche in die "Augen" zu blicken, oder?

Wolfram hat gesagt…

Nicht nur für den Herrn am Schalter ein Glück, dass Menschenopfer nicht mehr üblich sind. Mir fielen auf Anhieb eine Hand voll Zeitgenossen ein, mit denen ich die Götter gerne besänftigen würde.
Um mir langfristig die Laune zu verderben, müssen sie hier allerdings schon stärkere Geschütze auffahren!