Montag, 16. Januar 2012

Highway to Hell

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Ich soll um 11:00 chilenischer Zeitrechnung in meinem Hotel abgeholt werden. Das bedeutet irgendetwas zwischen 12:00 und 13:00, vielleicht auch später. Um 12:30 erscheint mein Fahrer und drängt zur Eile, gerade so, als ob ich mich verspätet habe.
Chilenen sind wahre Meister in der Fehleinschätzung von Zeit. Sie halten sich für das bestorganisierteste Land Lateinamerikas, belegen jedoch auf meiner Liste den letzten Platz.
Den Wagen, der mich abholt, kenne ich schon. Es ist eben dieser schrottreife Ford Van, mit dem man mich schon von der argentinischen Grenze abgeholt hat. Auf Grund von fehlender Dichtungen, kommt auf den Schotterpisten massenweise Staub ins Fahrzeug, so dass wir alle durch unsere T-Shirts atmen müssen. Das fällt im Normalfall schon schwer, bei einer Höhe von 4300 Metern um so mehr.
Es geht zur Grenzkontrolle. Die Schlange vor der Grenzstation ist vielleicht einhundert Meter lang. Das würde nicht lange dauern, versichert Señor Jorge, der auf Transporte in San Pedro ein Exklusivrecht besitzt und der sich als ein Großmeister des Zeitmanagements herausstellt. Tatsächlich lässt man uns geschlagene zweieinhalb Stunden in der Mittagshitze stehen. Zur Erinnerung: wir sind in der Wüste und die Temperaturen in der Sonne klettern leicht auf über 50°C.
Um drei Uhr ist Abfahrt, da hätten wir aber schon an der Grenzstation sein sollen, um in das argentinische Fahrzeug umzusteigen. Señor Jorge schätzt, dass wir um sieben Uhr abends in Salta sind. Mir reicht sein dummes Geschwätz und ich bitte ihn einfach nur den Mund zu halten und keine weiteren Einschätzungen mehr zu geben. Jetzt ist er beleidigt - gut so!

Die Straßen auf argentinischer Seite sind schlecht, auf chilenischer Seite jedoch in einem so erbärmlichen Zustand, das eine Geschwindigkeit über 40 Km/h das altersschwache Vehikel glatt in Stücke reißen würde. Man stelle sich eine Fahrt über 600 Kilometer auf einer, mit dickem Staub bedeckten, einem Waschbrett gleichenden Piste vor und hat eine ungefähre Vorstellung von dem, was uns jetzt erwartet.
Ich versuche mich mit Musik abzulenken und suche auf meinem iPhone nach etwas passendem. Ich finde „Highway To Hell“ von der Gruppe AC/DC und bin mit meiner Wahl zufrieden. Ich drücke auf den Startknopf. Das wird der Soundtrack meines heutigen Tages.
Schön, dass ich wenigstens nette Reisegefährten habe. Drei Portugiesinnen, die sich hier erst kennengelernt haben, sitzen neben mir und unterhalten mich.
Es ist unglaublich wie viele multilinguale junge Menschen ich hier kennenlerne. Ich halte mich mit meinen fünf Sprachen schon für einigermassen cosmopolit, aber ich treffe pausenlos auf Leute, die problemlos und fließend sieben Sprachen sprechen.
Übrigens, eine Sache auf die ich stolz bin: ich mache hier alles auf Spanisch, eine Sprache, die ich offiziell nie gelernt habe. Alle Buchungen, Reservierungen, Bestellungen, telefonisch oder persönlich, zwinge ich mich in Spanisch zu erledigen, auch wenn mein Gegenüber Englisch spricht. Zwar gibt es das ein oder andere Missverständnis, aber im Großen und Ganzen bekomme ich das, was ich will!

Wir treffen um sieben Uhr an der argentinischen Grenze ein. Einer der Wagen hat einen platten Reifen, seit wann, weiß ich nicht.
Die Grenzstation ist nur eine Hütte mitten im Nichts. Die Grenzbeamten erzählen mir, dass sie einen Monat lang ununterbrochen in dieser Einöde Dienst schieben, und dann fünf Tage frei haben. Wenn sie nach Salta zu ihren Familien wollen, gehen davon jeweils ein Tag für An- und Abreise verloren. Durchschnittlich kommen 8 Reisende am Tag durch ihren Grenzübergang, der Rest des Tages ist Langeweile und Kartenspiel.

Um zwei Uhr morgens treffen wir in Salta ein. Das Hotel in das ich mich fahren lasse ist leider ausgebucht. Eine Reservierung habe ich nicht. Habe ich nie, weil ich es hasse mich festlegen zu müssen. Auch das nächste Hotel, in dem ich frage, hat keinen Platz mehr für mich. Auf der Straße komme ich an zwei Transvestiten vorbei, die sich in einen Hauseingang zurückgezogen haben. Ich fände es besser, wenn das nächste Hotel nicht besetzt wäre und so ist es auch.
Ich wasche den Staub des Tages von meinem Körper und falle in einen gesegneten, zehnstündigen Tiefschlaf.

2 Kommentare:

renovatio hat gesagt…

Fünf Sprachen??? Da staun ich nicht schlecht!

Das mit dem Atmen durch's T-Shirt und dann bei der dünnen Luft ist natürlich die Härte, stimmt. Ich glaube aber, der Staub wäre auch dann durch die Ritzen gekommen, wenn es ein niegelnagelneuer Van wäre. Ich werde nie vergessen, wie ich nach meinem Tagesausflug zum Grand Canyon Skywalk abends zurückkehrte und einen ziemlich neu aussehenden und bestimmt mit hervorragenden Dichtungen versehenen Jeep "Renegade" oder sowas zur Tankstelle fuhr. Erst da bemerkte ich, wie sich das Wageninnere komplett mit feinstem Sand gefüllt hatte!!! Es dauerte locker ungefähr eine Stunden, das Ding noch sauber durchzusaugen und mit dem Lappen an das Feinwerk zu gehen. Als ich dann später ins Motel zurückkam, um meine Klamotten zu waschen, hatte sich die Badewanne im Nu in eine rote Lache verwandelt, die einem Hitchcock-Film hätte entnommen sein können.

Also... nun vermag ich mir Eure "Staublungen" vorzustellen... ;)

http://www.flickr.com/photos/wnieke/457500377/in/set-72157600068687188/

Wolfram hat gesagt…

Stimmt schon, in den Wagen in den wir dann in Argentinien umgestiegen sind ist auch ein bisschen rein gekommen, im Ford konnte man kaum noch was sehen.
Dein Foto zeigt mir, dass Du genau weißt wovon ich spreche. Solche Erinnerungen sind aber das Salz in der Suppe. Das sind die, an die man sich noch nach Jahren erinnert, vor allem an das Gefühl, als man unter der Dusche stand und den ganzen Mist abgewaschen hat :)

5 Sprachen, wenn ich Deutsch mal miteinrechne. Fanzösich, Portugiesisch und Englisch, als Sprachen die ich ganz gut kann und dann das Spanisch, das eigentlich auch ganz gut geht, aber mit Fehlern. Da müsste ich mal dran arbeiten.