Donnerstag, 18. Oktober 2007

Auf's Dach gestiegen

Gestern war wohl der letzte warme Tag des diesjährigen Herbstes. Einerseits ist meine Freundin Andrea aus Brasilien gerade in der Stadt und wir hatten schon vor ein paar Tagen beschlossen irgendwas "cooles" miteinander zu machen, andererseits wollte ich mich vom Sommer/Herbst, in Dankbarkeit für die vielen schönen Tage am See oder im Sattel meines Fahrrades, die er mir beschert hat, verabschieden.
Wir beschlossen einen Ausflug zu machen, den ich schon lange machen wollte und für den sich in diesem Jahr wahrscheinlich die letzte Gelegenheit bot: Eine geführte Tour auf das Zeltdach des Münchner Olympiastadions.
Vor ein paar Monaten habe ich im Bayrischen Rundfunk eine Reportage über diese ungewöhnliche Besichtigung des Stadions gesehen und damals beschlossen daran einmal teilzunehmen.
Roof Walker
Gegen 14:00 Uhr fanden wir uns am nördlichen Eingang des Olympiastadions ein, wo die vorbestellten Karten für uns bereit lagen. Schnell wuchs die Gruppe der Dachwanderer auf eine Größe von 13 Personen an und wurde pünktlich um 14:30 von unseren Führern abgeholt. Es folgte eine Einweisung in die Benutzung der Bergsteigerausrüstung, denn auf dem Dach herrscht Sicherungspflicht und man ist während der ganzen Zeit mittels Seil, Karabinerhaken und Geschirr mit einem Sicherungsseil auf dem Dach verbunden, und ein Film, original aus den 70er Jahren, wie uns unser Führer wissen lässt, in dem über den Bau und die Schwierigkeiten, die bei der Konstruktion des Zeltdaches aufgetreten sind, informiert wird.
Da man damals keine Computerprogramme kannte, die die Konstruktion eines solchen Bauwerks hätte simulieren und die Statik errechnen können, war man ausschließlich auf Modelle angewiesen.
Das erste Modell, mit dem sich der Architekt bei der Ausschreibung bewarb, bestand übrigens aus Zahnstochern und einem Damenstrumpf und überlebte die Anreise zur Präsentation nicht. Die Zahnstocher bohrten sich durch den Strumpf und dieser hing nun auf halbmast. Dass diese Idee trotzdem den Zuschlag erhielt ist wohl den visionären Fähigkeiten der Entscheidungsträger zu verdanken.
Die Umsetztung der Idee stellte sich allerdings als deutlich problematischer heraus, als zunächst gedacht. Es bewarben sich nur 5 Firmen um den Auftrag der Erstellung der Dachkonstruktion, von denen jedoch nur 2 pünktlich zum Ausschreibungsende eine praktikable Lösung vorstellen konnten.
Die Firma die letzlich den Zuschlag bekam hatte nur 2 Jahre für dieses Riesenprojekt Zeit und keinerlei Erfahrung, denn es war die größte Zeltdachkonstruktion der damaligen Zeit und die erste aus den verwendeten Materialien.
Dass sie, trotz der kalten und eisigen Winter und der felhlenden Erfahrung sogar 2 Monate vor dem geplanten Termin fertig wurde ist wohl eine Meisterleistung des verantwortlichen Ingenieurs und dem Einsatz seiner Arbeiter, allesamt übrigens Alpenanrainer mit alpinistischer Erfahrung, zu verdanken.
Über eine Leiter steigen wir auf den niedrigsten Teil des Daches auf, befestigen unsere Sicherungsseile an der Leine und laufen nun auf einer Art Metallsteg immer an der Dachkante, die gesammte den Zuschauerraum überspannte Länge entlang. Zweimal wird angehalten und es werden Erklärungen zur Konstruktion und zur Lösung mechanischer Probleme gegeben und die Konzeption des Stadions erklärt.
Der Architekt Prof. Behnisch hatte den Olympiapark als eine Miniatur des Alpenvorlandes konzipiert, wobei der Oylmpiasee die oberbayrischen Seen, die Geröllhügel, Kriegsschutt der zerbombten Häuser Münchens, die Hügel des Voralpenlandes und sein Dach schließlich die Alpenkette darstellen sollte. Tatsächlich schließt sich die Silhouette des Daches im Süden unmittelbar an die Alpen, die sich in majestätischer Größe am Horizont dieses schönen Spätsommertages abzeichnen, an.
Um dieses Konzept auch für die Nachwelt zu erhalten, sicherte Prof. Behnisch sich für jede Veränderung des Geländes ein Einspruchsrecht auf Lebenszeit, das, nach seinem Ableben, für weitere 30 Jahre an sein Archiktekturbüro geht.
Die Bestuhlung des Stadions in vier verschiedenen Grüntönen verleiht der ganzen Konstruktion etwas Organisches.
Nun erklimmem wir einen der Gipfel des Daches und genießen von dort die herrliche Aussicht.
Andrea...
Etwa auf halbem Weg fängt unser Führer an auf und ab zu springen um uns die Flexibilität des Daches zu demonstrieren. Kleine Wellen, als ob man einen Stein in ruhiges Wasser wirft, pflanzen sich über die ganze Konstruktion fort.
Ich schieße noch ein paar Fotos und freue mich für diesen Herbst einen so schönen Ausklang gefunden zu haben.

2 Kommentare:

renovatio hat gesagt…

Jaaaaa! Da wäre ich natürlich nur allzugern dabeigewesen, keine Frage! Tolle Details der Entstehungsgeschichte hast Du uns da mitgeteilt, wirklich spannend und beeindruckend, was die Planer und Ingenieure - und zudem unter extremem Zeit-, Kosten- und Imagedruck - da geleistet haben! Wenn man bedenkt, dass die gesamte Konstruktion auch schon ohne diese Hintergrund-Geschichte zu den berühmtesten Bauwerken der Welt zählt, kann man ungefähr erahnen, welche Meisterleistung in dieser Idee und ihrer Umsetzung steckt. Ich bin gewissermassen "nachträglich" stolz darauf, in der Nähe dieses Wunderwerks zu wohnen...
Überhaupt finde ich mittlerweile häufig eben gerade die Entstehungsgeschichte solcher Weltdenkmäler extrem interessant und spannend - so auch etwa jene der Erbauung der Space Needle in Seattle, die ich ja dieses Frühjahr besucht habe.
Ach - Reisen ist schon 'was Tolles! Grosser Sport, mein Lieber!

Wolfram hat gesagt…

Ja, schade, dass Du nicht mitkommen konntest. War in der Tat sehr interessant und mit so vielen Informationen gespickt, dass sie längst nicht alle in meiner kleinen Ausführung Platz hatten.
Vor allem war es aber schön diesen schönen Sommer mit einem ebensolchen Tag abzuschließen.